Frau Pötsch, Sie sind seit Jahren in Deutschland in zahlreichen Stiftungen und Vereinen engagiert und setzten sich als Vorstandsmitglied für kulturelle Integration, Bildung und Nachwuchsförderung ein. Wann fängt Ihrer Meinung nach Bildung an?
Bildung beginnt bereits mit der Geburt. Vom ersten Tag unseres Lebens an werden wir von unseren Mitmenschen und unserer Umgebung geprägt, in unserem Wissen, in unserem Verhalten und in unserer Sicht auf die Welt. Aber von Anfang an ist ein Mensch auch einzigartig.
Welche Rolle spielen Eltern, soziales Umfeld, staatliche oder private Bildungseinrichtungen?
Sie alle spielen eine grundlegende Rolle. Und je nach Alter der Kinder oder der Jugendlichen ist natürlich zuerst der Nahbereich wichtiger – später wird der Einfluss außerhalb der Familie immer bedeutender.
Welche Rolle sollten sie spielen?
Wünschenswert wäre es, wenn Elternhaus, Betreuungs- und Bildungseinrichtungen ähnliche Werte vertreten und sie damit in der Erziehung auch an einem Strang ziehen können. Ich habe solche idealen Bedingungen kennen gelernt, aber ebenso oft widersprüchliche Verhältnisse gesehen, in denen Kinder letztlich keine Richtung vorfinden.
Brauchen wir Eliten- oder Breiten-Förderung?
Unsere Gesellschaft und unser Nachwuchs brauchen beide Arten der Förderung. Wichtig ist, dass Menschen ihre Talente entwickeln können: handwerkliche, soziale, intellektuelle oder kreative. Wir wissen, dass eine ausgeprägte Begabung nicht früh genug in ihrer Art gefördert und bestätigt werden will, damit sie sich entfalten kann. Genauso wichtig für die Entwicklung einer starken Persönlichkeit sind aber auch eine solide Allgemeinbildung und die Einbindung in eine gute Gemeinschaft.
Wie definieren Sie Elite?
„Elite“ hat für mich mit besonderen Fähigkeiten von Menschen zu tun, aber ursächlich nichts mit Status und Geld. Wesentlich ist jedoch, dass auch Menschen mit herausragenden Talenten eine breite Wissensbasis und soziale Kompetenz brauchen, wenn sie später zu Vorbildern oder Führungskräften werden und damit Verantwortung tragen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang Gerechtigkeit? Geht es um Chancengleichheit oder um Ausbildungsgleichheit oder um ein „gerechtes“ Durchschnittsniveau für alle?
Der Begriff „Chancengleichheit“ scheint mir angemessen, wenn wir die Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen selbst und ihre sozialen Bedingungen wahrnehmen wollen und gleichzeitig alles dazu tun, damit möglichst viele Menschen Zugang zu Bildung und Förderung bekommen.
Wie kann man Individualität und Kreativität fördern, ohne auf ein gewisses Mindestmaß an Können zu verzichten?
Wenn Sie die Vergleichbarkeit von Leistungen meinen, dann gibt es hier in unserem Bildungssystem mittlerweile eine gute Mischung. In unteren Jahrgängen fällt die Beurteilung noch individueller aus und erst in den höheren Klassenstufen ziehen dann die Messbarkeit und noch später auch der Wettbewerb ein, beispielsweise im Rennen um einen guten Studienplatz oder um ein Stipendium. Das ist meines Erachtens ein sinnvoller Aufbau. Wir brauchen hier ein natürliches Augenmaß, mit dem wir das Fördern und Fordern zugleich einsetzen.
Welche Ausbildung brauchen die Menschen, die unsere Kleinsten, Kleinen und dann die Größeren betreuen?
Es ist ja bekannt, dass sich bei Kindern gerade in den ersten Lebensjahren viele Fertigkeiten durch Nachahmung herausbilden. Ob es sich um das Erlernen von Sprachen, Wissen oder um soziale Fähigkeiten handelt. Diese Phase können wir spielerisch nutzen. Das bedeutet aber auch, dass in dieser Zeit die Vorbilder entscheidend sind – im Guten wie im Schlechten. Deshalb müssen wir auf die bestmögliche Ausbildung unserer Betreuer und Erzieher Wert legen – und auf einen richtigen Betreuungsschlüssel, damit sie den Kindern und Jugendlichen auch ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit widmen können.
Soll Kindern etwas über Wirtschaft vermittelt werden und, wenn ja, dann von wem?
Wirtschaft ist ein elementarer Bestandteil unseres Lebens, über den jeder von uns ausreichend Kenntnisse benötigt. Ob dieses Wissen über Schulstunden oder über Einblicke in die Praxis vermittelt wird: Wir sollten dieses Wissen allen jungen Menschen vermitteln, ganz gleich welchen Weg sie später einschlagen. Ich erinnere mich an die Schulzeit meiner beiden Kinder. Dort waren von Zeit zu Zeit „Praktiker“ aus verschiedenen Berufen im Unterricht zu Gast, die aus ihrer Lebenswirklichkeit berichteten. Darunter waren auch Vertreter aus der Wirtschaft, die interessante Einblicke in ihren Alltag mitgegeben haben. Eine solche Einbindung in den Schulunterricht ist sicher bereichernd.