Jänner und Februar sind meine Frau und ich seit Jahren in Südamerika und gewöhnen uns an die Abwesenheit von Mediennachrichten, insbesondere jener aus der Heimat. Auf unserer Finca in den Llanos Kolumbiens gibt es kein Internet und über mehrere Wochen haben es gerade ein paar sms bei entsprechender Wetterlage zu uns geschafft.
Als wir Mitte Februar zurück in den normalen Wahnsinn der täglichen Emails und Internetnachrichten nach Bogota kamen, haben gefühlte 1000 Emails drohend aus dem IPAD geschaut. Und da begegnete ich das erste mal „Covid-19“ und musste mich erst schlau machen, wovon die alle reden und schreiben.
Jetzt stelle ich mir vor, wir wären erst Ende März aus unserer idyllischen Wildnis aufgetaucht. Aus Flugzeugen sind Stehzeuge geworden. Wir wären vielleicht noch – mit dem Jeep 20 Stunden unterwegs – bis Bogota gekommen, um festzustellen, dass Militär und Polizei die einzigen auf der Straße sind und uns unverzüglich festnehmen, um uns in Quarantäne zu stecken. Wir würden jetzt noch immer auf einen Sondertransport in die Heimat warten. So ähnlich geht es übrigens einem befreundeten österreichischen Ehepaar. Sie sitzen noch immer in Kolumbien fest und hoffen auf ihre Rückkehr.
Nicht nur Österreich, die Welt hat sich binnen weniger Wochen verändert, und wir haben gelernt, dass bei Naturkatastrophen, nuklearem Supergau oder im Kriegsfall Emigration eine Option ist. Bei einer Pandemie funktioniert das nicht, weil die meisten Länder mit gleichen Reaktionsmustern aufwarten. Abschotten der Grenzen und Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte. Dies ist die bitterste Erfahrung, die ich in den letzten Wochen machen musste. Und das Teuflische ist, unsere Sinne sind nicht ausgebildet, um die medial befeuerte Angst begreifen zu können. Man sieht, hört und riecht Covid-19 nicht. Und es wird gespenstisch, wenn das Militär im Alarmzustand gegen den unsichtbaren „Feind“ ausrückt.
Wenn ich in der Früh in die Natur hinausschaue, die Vögel singen und keine maskierten Menschen zu sehen sind, frage ich mich immer wieder, war das alles nur ein schlechter Traum?
Aber dann kommen wieder die Nachrichten von Millionen Infizierten und hundert-tausenden Toten. Man geht ins Grätzl zum Bäcker einkaufen und es heißt Maske aufsetzen, Schlange stehen. Dann ist das Virus wieder bittere Realität, obwohl man es auch hier nicht sieht, hört oder riecht. Hand aufs Herz: Welche Wette wären wir alle eingegangen, dass ein solches Szenario in unserem Land, in Europa oder USA einfach undenkbar ist. Und in wenigen Wochen ist das Undenkbare, das schwer Vorstellbare, Realität geworden. Was wir daraus lernen sollten ist, dass Freiheit, Bürgerrechte und Selbstbestimmung sehr kostbare und sehr zerbrechliche Werte sind. Und dass die Dynamik von Politik und Medien sehr rasch eine neue autoritäre Realität auch für bislang stabile Demokratien schaffen können.
Wer hat unsere neue Realität gemacht, fragt sich also der Zweifler? CORONA?
Zur Realität geworden sind jedenfalls die Ängste und Sorgen der Menschen. 1,2 Millionen Kurzarbeitsanträge, 600.000 Arbeitslose. Ein gewaltiger Einbruch unserer Wirtschaftsleistung, hohe Staatsschulden. Eine bemühte aber überforderte Abwicklungsbürokratie, das ist auch Realität. Wer wird die unzähligen Insolvenzen, die leider unvermeidbar erscheinen, abwickeln? Wer hilft den vielen Betroffenen in Ihrer Ratlosigkeit?
Diese Sorgen sind drückend, aber nicht so drückend, dass wir dauernd den Vergleich zur Nachkriegszeit herbeirufen müssen. Denn die Betriebe sind nicht zerstört wie damals, die Geschäfte und Wohnungen sind nicht ausgebombt wie damals, die Dome, Opernhäuser, Konzertsäle und Theater stehen noch immer da in voller Pracht und warten, dass sie bespielt werden. Die Künstler mussten nicht flüchten oder erst aus dem Krieg zurückkehren. Jetzt geht es hauptsächlich um die Befreiung und den Wiederaufbau in unseren Köpfen, dass wir die Angst überwinden und wieder in unser Leben „vor dem Virus“ zurückkehren und gemeinsam das Versäumte nachholen.
Viele, die immer schon gerne geträumt haben, träumen nun von der neuen Chance eines gerechteren und schöneren Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Solche Sehnsüchte haben uns im vorigen Jahrhundert bittere Erfahrungen gelehrt. Um zum Neuen zu kommen, mussten zuerst die Schuldigen am Versagen des Bestehenden an den Pranger gestellt werden. Diese Mechanismen sind gefährlich.
Es stellt sich also die Frage, kann man wirklich die soziale Marktwirtschaft, die in Europa gut entwickelt ist, für die Pandemie verantwortlich machen? Ist Kapitalismus ausschließlich mit Gier und sozialer Kälte gleichzusetzen? Hat die Globalisierung der Wirtschaft nur Nachteile gebracht? Und ist die Freizügigkeit des Güterhandels und des Reisens abzulehnen, weil das Virus mitgereist ist? Ist Abschottung und Nationalismus die bessere Alternative? Die Lektüre des Buches „Factfulness“ könnte weiterhelfen.
Meine Antwort auf diese Fragen ist: Wenn wir etwas besser machen wollen, sollten wir das Gute nicht zerstören. Das Bessere muss erst erwiesen sein, bevor wir das Gute aufgeben.
Die nächste große Herausforderung klingt nun ein paar Tage nach der „Öffnung“ schon durch. Es ist die Energiewende und die damit verbundene Hoffnung des Aufhaltens der Erwärmung unseres Planeten.
Dazu eine These: Wir werden die große finanzielle Lücke (40, 50, 60…? Milliarden) in unserem Land wieder gutmachen können. Allerdings ohne gewagte Experimente einer neuen schöneren Gesellschaft und Wirtschaft. So schlecht sind beide nicht. Wir dürfen autoritären, nationalistischen Sehnsüchten keinen Raum geben. Die Welt muss wieder erreichbar werden, der Personen- und Güterverkehr muss wieder funktionieren. Es ist dringend notwendig Europa zusammenzuhalten. Wir müssen unser Wirtschaftssystem in verträglichen Dosen weiterentwickeln, verändern und verbessern, das ist die Stärke einer offenen, demokratisch organisierten Gesellschaft. Auf diesem Fundament kann die nächste große Herausforderung konstruktiv angenommen und bewältigt werden.