Interview mit Michael Wachsler-Markowitsch

Die Steiermark scheint guter Boden für innovative und erfolgreiche Unternehmen zu sein. Eines dieser Unternehmen ist die ams AG. Der Multinationale Halbleiterhersteller mit Hauptsitz in Premstätten entwickelt und produziert analoge integrierte Schaltkreise und anwendungsspezifische Schaltungen. Der Großteil der Kunden des Sensor- und Chipspezialisten betreibt Unternehmen in den Bereichen Mobilkommunikation, Medizintechnik und Industrie. Im Interview mit Kathrin Nachbaur erzählt der CFO der ams AG Mag. Michael Wachsler-Markowitsch, ob er sich nochmals in der Steiermark ansiedeln würden und wie zufrieden das Unternehmen mit der Schweizer Börse ist und philosophiert mit ihr über die Defizite der Demokratie.

Kathrin Nachbaur: Die ams ist ein internationaler Halbleiterhersteller, genauer gesagt ein Sensor- und Chipspezialist mit Hauptsitz in der Steiermark seit den 80er Jahren. Würden Sie auch heute noch diese Standortentscheidung fällen?

„Einen Produktionsstandort würde man aus heutiger Sicht nicht in Österreich machen.“

Michael Wachsler-Markowitsch: (Lacht) Gute Frage. Schwer zu sagen, weil natürlich muss man das auch historisch betrachten, das Unternehmen ist jetzt 35 Jahre alt und damit sehr stark im Standort verankert. Es gibt auch eine gute und enge Zusammenarbeit mit den Universitäten, sowohl in Graz als auch in Wien. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es jedenfalls sinnvoll ist, hier einen Design- und Entwicklungsstandort zu haben. Einen Produktionsstandort würde man aus heutiger Sicht nicht in Österreich machen.

Nachbaur: Die Antwort geht eh schon in die Richtung, die ich erwartet habe. Es wird in letzter Zeit viel von der Willkommenskultur gesprochen…allerdings in Zusammenhang mit Migration, aber ich glaube es braucht eine Willkommenskultur für Unternehmer in unserem Land und diese fehlt meines Erachtens, oder?

Wachsler-Markowitsch: Die fehlt tatsächlich, ja, da gebe ich Ihnen Recht.

Nachbaur: Was könnte man da tun?

Wachsler-Markowitsch: (Lacht) Da müsste man weit ausholen.

Nachbaur: (Lacht) Ja, ich hab Zeit.

„In etwa die Hälfte der Wertschöpfung der Steiermark entsteht durch die Industrie.“

Wachsler-Markowitsch: Ich glaube, man könnte da viel tun. Erstens: Es muss ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden, dass Unternehmer erwünscht sind. Die Steiermark ist da gerade ein wirklich gutes Beispiel. In etwa die Hälfte der Wertschöpfung der Steiermark entsteht durch die Industrie. Wenn man sich aber Medienberichte ansieht, dann haben Tourismus, Gewerbe und Handel eine Präsenz, die mit Sicherheit höher als 50 % ist. Zweitens, das Schulsystem. Meine Kinder kommen heim und sagen: „Papa, ich hab gehört, deine Fabrik stinkt.“ Dabei ist die Luft, die bei uns die Fabrik verlässt, sauberer als die, die rein kommt, weil wir einen Reinraum betreiben. Drittens die Gesellschaft als Ganzes: Es ist gesellschaftlich verpönt einen Industriestandort zu betreiben oder in einem Industriebetrieb tätig zu sein und solange sich das nicht ändert, werden wir immer ein Problem für die Industrie in diesem Land haben.
Das waren jetzt drei Grundprobleme. Alles andere, was danach kommt, ist noch eine ganz andere Geschichte. Ein Beispiel: Wir haben in den letzten beiden Jahren rund 50 Millionen Euro in den Standort, in unsere Produktion investiert. Es war notwendig, eine zweite Ringleitung für eine 100%ig unterbrechungsfreie Stromversorgung zu bauen. Die nutzt auch die Gemeinde Premstätten, und das ganze Land profitiert. Trotzdem haben wir es auf unsere Kosten gebaut. Da geht es um vier Millionen Euro. Das ist jetzt für unser Unternehmen, ich möchte nicht sagen einen Kleinigkeit, das klingt vielleicht ein bisschen hochnäsig, aber es nichts worüber man in Wirklichkeit reden sollte. Nur warum zahl ich die Ringleitung? Warum zahlt die nicht Österreich oder das Land Steiermark oder die Gemeinde Premstätten?

„Wenn ich heute in die USA gehe, dann wird uns der rote Teppich ausgerollt.“

In den USA ist das ein bisschen anders: Wenn ich heute in die USA gehe – und es ist ja mittlerweile öffentlich bekannt, wir werden unsere nächste Produktionsstätte in den USA und nicht in China errichten lassen – dann wird uns der rote Teppich ausgerollt. Da kommt der Gouverneur, hält eine große Rede, dass dank der österreichischen ams 2000-3000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Aber es gibt nicht nur eine schöne Rede, man muss sich vorstellen: Die Fabrik errichtet der Staat New York und investiert hunderte Millionen Dollar in Reinraum und Infrastruktur.

Nachbaur: Das hab ich auch oft erlebt, dass wir in der Autoindustrie in irgendwelchen kleinen Orten in den Mittel-USA eine Werkseröffnung hatten. Und es sind alle gekommen. Die Blaskapelle, der Bürgermeister, der Gouverneur, die Steuervorteile, die Anreize, also…

Wachsler-Markowitsch: Bei uns hab ich ein eineinhalbjähriges Betriebsanlagengenehmigungsverfahren, wo jeder Nachbar meint: „Na das mach ma sicher nicht“. Warum nicht? „Na so halt, justament.“ Vergiss es.

Nachbaur: Ja, das ist tatsächlich so. Da braucht es auf jeden Fall ein Umdenken.
Sie haben angesprochen, das die Luft die raus kommt sauberer ist, als die, die rein kommt. In dem Zusammenhang: Vor ein paar Tagen ist das Weltklimaschutzabkommen in Kraft getreten und da hat man sich vorgenommen, dass die Erderwärmung nicht mehr als 1,5 Grad steigen soll. Die Frage ist, was man da wirklich auf politischer Ebene ausrichten kann für das Weltklima. Es ist ja in unser aller Interesse, dass die Umwelt sauber gehalten wird. Aber gehen da gerade in Österreich die Vorschriften musterschülerartig viel zu weit, weil das Weltklima hat ja auch nichts davon, wenn unsere Firmen aufgrund von Vorschriften hier die Standorte abbauen und woanders hingehen, wo es diese Regulierungen nicht gibt und dann dort vielleicht nicht diese Saubertechnologie verwenden. Natürlich muss jede Firma Profit machen, ich glaub insgesamt ist das sogar schlechter fürs Weltklima, wenn man bei uns so strenge Vorschriften macht, oder?

Wachsler-Markowitsch: Nein, ich finde solche Vorschriften absolut wichtig und notwendig, denn am Ende des Tages treiben solche Vorschriften die Technologieentwicklung an. Absolut korrekt, absolut richtig. Der Mensch selber macht Dinge erst, wenn er unter Druck kommt.

„Der Mensch selber macht Dinge erste, wenn er unter Druck kommt.“

Und dann wird er kreativ und dann findet Innovation statt. Was ich aber nicht akzeptiere ist dieser Wiederspruch, der sagt, auf der einen Seite schaffen wir Gesetze, die dazu anregen diese Innovation anzutreiben, aber auf der anderen Seite verhindern wir diese Innovation dann wieder oder sagen, wenn sie entwickelt wird, na aber so haben wir uns das nicht vorgestellt. So á la die Grünen, die sagen, ich will 9 Milliarden Menschen ernähren, aber bitte ohne, dass man Gentechnik entwickelt. Was soll der Unsinn?

Nachbaur: Ja, guter Punkt.

Wachsler-Markowitsch: Entweder oder. Das ganze Leben besteht aus einem Zielkonflikt oder mehrere Zielkonflikten. Ich kann nicht A wollen, und um A zu erreichen brauch ich B, aber dann sag ich,“ na B machst du nicht um A zu erreichen.“ Das geht nicht.

Nachbaur: Aber soll der Staat Innovationsteiber sein, oder der Markt?

Wachsler-Markowitsch: Natürlich der Markt, aber in Sachen Umwelt braucht es auch den Druck vom Staat.

Nachbaur: Nächste Frage: Sie kommen von der KPMG und als Tax Advisor. In den letzten 20 Jahren hat sich in Österreich die Zahl der Steuerberater verdoppelt. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass es wahnsinnig viele Vorschriften gibt. Das ist für KMU und kleinere Familienbetriebe ungleich herausfordernder als für einen Börse gelisteten Konzern, der ohnehin sehr viele Auflagen zu erfüllen hat. Aber ich nehme an, auch Sie mussten und müssen Ihre Finanzabteilung ständig ausbauen um hier am Laufenden zu bleiben oder?

Wachsler-Markowitsch: Das sind geschützte Werkstätten, die durch diese Gesetze geschaffen werden, wo Notare Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, ein herrliches Auskommen haben oder ein herrliches Einkommen haben, je nachdem wie man das betrachten möchte. Es werden unzählige unübersichtliche Regularien geschaffen.

Nachbaur: Ganz Ihrer Meinung, wahre Wertschöpfung passiert nicht in den Kanzleien sondern in der Industrie.

Wachsler-Markowitsch: Genau.

Nachbaur: Und wie könnte man das System vereinfachen?

„Es gibt keinen Steuerberater in den USA, der mit dem Tax Code umgehen kann.“

Wachsler-Markowitsch: (Lacht) Indem man diese Regeln und Gesetze radikal ausmistet und vereinfacht. Der Tax Code in den USA umfasst mittlerweile zig-tausend Seiten. Es gibt keinen Steuerberater in den USA, der damit umgehen kann. Das ist so. Wir haben gerade einen weltweite Steuerplanung gemacht, das hat sich jetzt 2,5 Jahre gezogen, alleine das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Und wir brauchten in den USA von unserem weltweiten Steuerberater 5 unterschiedliche Experten, die sich ihrerseits wieder andere Experten geholt haben, um nur die Steuerthemen abdecken zu können. Weil ein einziger nicht in der Lage ist die gesamte Gesetzesmaterie zu verstehen. Und da reden wir nur über Steuergesetze. Und ich sehe es bei unseren Anwälten. Heute brauch ich einen eigenen Anwalt, der Gesellschaftsrechtler ist und einen der sich mit Arbeitsrecht auskennt und einen der sich mit intellectual property auskennt und es braucht jede Materie ihren eigenen Spezialisten, weil es keinen Generalisten mehr gibt, weil es zu kompliziert geworden ist.

Nachbaur: Also Österreich wird zu einem Mekka für Compliance Officers, Steuerberater, Anwälte,…

Wachsler-Markowitsch: Das ist nicht nur Österreich. Das ist leider überall auf der Welt so. Aber es ist ein Drama.

Nachbaur: Damit zusammenhängend. Ich habe gelesen, sie sind seit den 90er Jahren mit Unterbrechung an der Börse. Viele Firmen denken an Delisting aufgrund der vielen unübersichtlichen und vor allem kostspieligen Vorschriften. Ist das ein Thema?

Wachsler-Markowitsch: Nein, für uns absolut nicht. Wir sind sehr zufrieden. Der Schweizer Börsenplatz ist extrem transparent, ist extrem einfach, ist extrem übersichtlich. Ich möchte das nicht missen.

„Für uns ist Delisting kein Thema.“

Es ist angenehm, dass wir eine breite Zahl an Investoren haben, also nicht von einem einzelnen Eigentümer abhängig, wo du am Ende des Tages ja nur ein ausführendes Organ bist. Weil wenn der eine Entscheidung trifft, die sich vielleicht nicht mit der Entscheidung des Managements deckt, dann kannst du eigentlich das Unternehmen verlassen, kannst sagen, die Entscheidung ist nicht sinnvoll. Wenn du allerdings eine große Gruppe an Aktionären hast und ein vernünftiges Management Team, dann werden auch vernünftige Entscheidungen getroffen, weil es nicht ein einziger Eigentümer ist, der womöglich Allmachtsfantasien hat.

Nachbaur: Ich wollte Sie fragen warum die Züricher Börse, aber ich glaube das haben Sie schon beantwortet, sehr transparent, gute Regeln…

Wachsler-Markowitsch: Ja, wir haben 2004 den Börsegang gemacht für unseren damaligen Alleineigentümer, den Privat Equity Fund Permira. Permira hat uns mehr oder weniger die Wahl gelassen, an welchen Markt wir gehen wollen und der logische Markt als High Tech Unternehmen wäre NASDAQ gewesen, aber wir waren eindeutig zu klein dafür, es wäre auch nicht unser Heimmarkt gewesen. Wir mussten uns irgendwas in Europa suchen, wo wir einen näheren  Zugang dazu haben. Die Schweiz war nicht nur vom Markt her, vom Kapitalmarkt her am überschaubarsten und transparentesten, sondern wir haben in der Schweiz ein großes Designcenter und wir haben Kunden in der Schweiz. Also es gibt eine Art natural home für uns in der Schweiz und ich bin heute sehr zufrieden damit, dort gelistet zu sein und nicht in einem EU-Land.

Nachbaur: Apropos EU: Die EU hat sich ja lange jetzt mit Kanada und mit den USA abgeplagt, um Freihandelsabkommen zu verhandeln. Stehen Sie den Freihandelsabkommen, die hier sehr medienwirksam diskutiert werden, positiv oder kritisch gegenüber?

„Ich will A errreichen, aber verhindere B um zu A zu kommen. Was soll das?“

Wachsler-Markowitsch: Die Menschheit versucht seit Jahrhunderten über Handel, Wachstum zu schaffen. Jetzt auf einmal wollen wir wieder Protektionismus einführen. Was soll das? Das ist wieder das, ich will A erreichen, aber ich verhindere B um zu A zu kommen. Wir wollen Wirtschaftswachstum, aber wir wollen den Freihandel verhindern, da werden wir kein Wirtschaftswachstum zusammen bringen. Das ist ja absurd.

Nachbaur: Letzter Themenkreis: Personal. Ich nehme an, Sie haben unter anderem sehr hoch qualifizierte Mitarbeiter und ich würde gerne wissen, ob Sie mit unserem Bildungssystem zufrieden sind?

Wachsler-Markowitsch: Wir haben tatsächlich sehr hochqualifizierte Mitarbeiter, über 40 % der Mitarbeiter sind Akademiker.

„Über 40 % der Mitarbeiter sind Akademiker.“

Gerade auf der Entwicklungsseite beschäftigen wir fast ausschließlich Akademiker bis hin zu Universitätsprofessoren. Aber mit dem Bildungssystem in Österreich kann man glaub ich nicht zufrieden sein. Das sehe ich nicht nur daran, dass ich kaum qualifizierte Arbeitskräfte in Österreich bekomme, sondern auch daran, was mir meine Kinder erzählen, die ich eingangs erwähnt habe. Wir haben eine Initiative gestartet vor 10 Jahren mit der IV Steiermark und Kärnten. Wir haben einige tausend Lehrer eingeladen, Industrieunternehmen zu besuchen.

Nachbaur: Tolle Initiative, ja,

Wachsler-Markowitsch: Ja aber, stellen Sie sich vor, wir hatten eine Rücklaufquote, von weniger als 2%, die Interesse gezeigt haben. Ich war damals echt geschockt. Immerhin, könnte man jetzt sagen, hat sich einige Lehrer doch interessiert gezeigt haben…die wurden dann eingeladen zu Leitbetrieben, die sich bereit erklärt hatten, Führungen zu machen und den Lehrern einen Zugang zum Unternehmen zu verschaffen. Dann stellte sich aber heraus, dass die Einladung an einem Tag stattfinden sollte, an dem schulfrei war, woraufhin sich von den angemeldeten Lehrern für diese Betriebsführungen, wieder 80 % wieder abgemeldet haben.

Nachbaur: Na das ist ja peinlich was Sie da erzählen. Furchtbar.

Wachsler-Markowitsch: Soviel zu unserem Bildungssystem. In anderen Ländern ist es verpflichtend für Lehrer, dass sie sich in Industrie, Handel, Gewerbebetrieben umsehen, um realitätsnah die Jugend ausbilden zu können. Und es wird viel zu wenig Wert gelegt auf naturwissenschaftliche Fächer in Österreich. Wenn man sich die Unis anschaut, dann sind nach wie vor Geisteswissenschaften und Soziologie, die am meisten belegten Fächer. Komplett brotlos. Es gibt kaum politische Bildung in der Schule, es gibt kaum wirtschaftliche Bildung in der Schule. Wenn man nicht irgendwo außerhalb der Schule lernt, wie man Telebanking bedient, kann man es nicht. Warum gibt es keine Erklärungen in Schulen für Kinder, wie sie mit Ihrem Geld umgehen, was eine Sparquote ist, volkswirtschaftliche Bildung?

Nachbaur: Ich bin zu 100 % Ihrer Meinung, Herr Wachsler-Markowitsch, und würde das gerne ausdehnen, diese verpflichtenden Industrie- und Gewerbebesuche für Politiker, das ist nämlich ein ähnliches Umfeld. Zu viel Kochen im eigenen Saft.

Wachsler-Markowitsch: Gute Idee.

Nachbaur: Da hab ich mir letztens sehr viele böse Zwischenrufe eingehandelt, als ich das im Parlament gefordert habe…

„Der Nachteil der Demokratie ist, dass die Merheit der Menschen nicht immer Recht hat.“

Wachsler-Markowitsch: Wobei, wissen Sie, bei Politikern sehe ich das schon etwas anders. Ich halte Politiker für extrem intelligente Menschen, die aber durch den Zwang wiedergewählt werden zu müssen, Gefangene sind. Der Nachteil der Demokratie ist, dass die Mehrheit der Menschen nicht immer Recht hat, wodurch Politiker das Problem haben, dass sie das, was sie in Wirklichkeit denken, nicht umsetzen können.

Nachbaur: Ich sehe auch einen systemimmanenten Fehler in der Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet, man denke an das Thema Steuern: es ist nun mal so, dass die Mehrheit aus dem System raus nimmt, während die Minderheit einzahlt. Wir haben in Österreich rund 1,9 Millionen Nettosteuerzahler und wenn man jetzt die anderen 6 Millionen fragt, ob die 1,9 noch mehr zahlen sollen, werden die höchstwahrscheinlich sagen: „ja gerne.“

Wachsler-Markowitsch: Genau. Die einzigen, die, warum auch immer – Historie wahrscheinlich – die richtigen Antworten geben, und zwar in einer breiten demokratischen Mehrheit, sind die Schweizer.

Nachbaur: Richtig, ja.

Wachsler-Markowitsch: Ganz interessant warum das so ist. Erinnern wir uns an diese herrliche Frage in der Schweiz, ob man eine zusätzliche Urlaubswoche haben soll. 67 % der Menschen haben nein gesagt. In Österreich, glaub ich, würden 95 % „ja bitte“ sagen.

Nachbaur: Und dasselbe bei der Einschränkung der Management Gehälter. Da haben die Schweizer auch sehr klug entscheiden.

Wachsler-Markowitsch: Ja, genau.

Nachbaur: Das würde ich bei uns auch bezweifeln.

Wachsler-Markowitsch: Wahnsinnig spannend, warum das dort funktioniert und bei uns nicht. Wahnsinnig spannend.

Nachbaur: Das ist wohl eine sehr, sehr lange Tradition der Bürgernähe.

Wachsler-Markowitsch: Wahrscheinlich. Aber es muss auch eine Bildungssache sein, dass diese, ich sage einmal politische Intelligenz oder das Demokratieverständnis, dass auch Demokratie richtig angewendet gehört in der Schweiz verankert ist und bei uns nicht.

Nachbaur: Richtig, ja.

Wachsler-Markowitsch: Ich kann nicht auf der einen Seite jemanden wählen, der mich vertritt, dann aber auf der anderen Seite glauben, ich werde bezüglich allem und jedem gefragt.

„Dieser Brexit ist doch ein absoluter Schwachsinn.“

Dieser Brexit ist doch ein absoluter Schwachsinn, ich kann doch nicht zuerst einem Wirtschaftsraum beitreten, ihn mitgründen und dann mach ich eine Volksbefragung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt und ein Bruchteil der Wahlberechtigten geht wählen und von dem Bruchteil sagt die knappe Mehrheit „wir wollen wieder austreten“. Das ist doch demokratisch komplett daneben. Die Mehrheit hat nämlich nicht gesagt, wir wollen austreten, es hat nur die knappe Mehrheit, von denen die hingegangen sind gesagt, „wir wollen austreten“.

Nachbaur: Aber wenn man das so betrachtet, wird der nächste Präsident der USA wahrscheinlich auch nur von rund 10 % der Bevölkerung gewählt. (Anm.: Das Interview fand am Montag vor den Präsidentenwahlen in den USA statt.)

Wachsler-Markowitsch: Das ist richtig.

Nachbaur: Was wäre die Alternative?

Wachsler-Markowitsch: Das ist ein bisschen was anderes. Der Unterschied dabei ist – und das könnte man auf unsere Präsidentenwahlen auch umlegen – hier stelle ich etwas zur Wahl, wo ich etwas machen muss, wo ich eine Entscheidung treffen muss. Aber ich muss ja keine Entscheidung treffen, wo auszutreten, wo ich schon dabei bin.

Nachbaur: Ich habe allerdings den Eindruck, es ging gar nicht um die Wirtschaft. Ich war mit einer Delegation vom Parlament aus in London anlässlich des Brexit und wir hatten ausschließlich Treffen mit „Remain-Leuten“…

Wachsler-Markowitsch: Aber schauen Sie, Sie treffen sich mit Eliten und die Eliten werden alle sagen, wir wollen bleiben.

Nachbaur: Genau, ich wollte gerade zu dem Punkt kommen. Ich bin dann im Pub gewesen und hab mich mit dem Pub-Eigentümer und dem Kellner unterhalten und genauso mit dem Taxler. Und nach diesen drei Gesprächen hab ich gewusst, das wird ein Brexit und das hatte überhaupt nichts mit der Wirtschaft zu tun. Den normalen Leuten ging es nur um die Frage der Ausländer und deren Zuwanderung ins Sozialsystem. Die Mehrheit der Briten will keine Immigration und fertig.

Wachsler-Markowitsch: Genau. Was zu akzeptieren ist, ist ja gar kein Problem. Aber deswegen braucht man nicht austreten aus der EU. Weil die Konsequenz nicht bekannt ist. Die Briten haben sich genügend Ausnahmeregelungen geschaffen in der Vergangenheit. Das könnte man ganz einfach lösen, wenn man sagt: Leute, gar kein Problem, wir schränken die Personenfreizügigkeit für euch ein.

„Wenn Orban sagt, ernimmt keine Flüchtlinge, dann zahlt er halt ein paar Milliarden mehr im Jahr.“

Dafür zahlt ihr ein bisschen mehr. Weil die Leute müssen wir ja woanders aushalten, die sonst zu euch gekommen wären. Ist doch ganz einfach zu lösen. Wenn Orban sagt, er nimmt keine Flüchtlinge, dann sag ich fein, dann zahlst ein paar Milliarden mehr im Jahr und die Flüchtlinge sind halt bei uns. Wenn kümmerts.

Nachbaur: Wen kümmerts? Ich glaube die Ungarn hätten keine Freude.

Wachsler-Markowitsch: Nein, aber noch einmal, jeder der in der Wirtschaft ist, versteht wie sowas abläuft. Wenn ich Bestandteil eines Vereins bin und ich will eine Extrawurst, dann will ich etwas haben und dafür, dass ich etwas haben will, muss ich auch etwas geben. Wir sind ein solidarischer Verein, wir heißen EU und sinnvollerweise, wenn jetzt einer eine Extrawurst haben will, dann soll er dafür zahlen, ist ja kein Problem. Wenn die Ungarn und die Polen sagen: „Wir nehmen keine Flüchtlinge auf“ dann sollte der Rest Europas sagen: „Na wunderbar, dann rechnen wir uns aus: Die Flüchtlinge hätten euch x Milliarden im Jahr gekostet, die nehmt ihr nicht auf, also zahlt ihr die x Milliarden ins EU-Budget ein und wir verteilen die Flüchtlinge auf die verbleibenden Länder und die kriegen die Kohle, damit sie die Flüchtlinge entsprechend aufnehmen können. Where is the problem?“

Nachbaur: Ein pragmatischer Denkansatz, aber wie gesagt, die Bevölkerung im Osten hätte sicher keine Freude mit Steuererhöhungen dank Merkels Einladung.
Eine Frage, die mit der Asylpolitik leider vermischt wird, ist die Zuwanderungspolitik: Sie haben bestimmt viele ausländische Arbeitskräfte. Funktioniert die Zuwanderungspolitik, die Rot-Weiß-Rot-Card und so weiter oder ist das alles ein bisschen schwierig?

Wachsler-Markowitsch: Funktioniert überhaupt nicht, wir beschäftigen 35 unterschiedliche Nationalitäten hier am Standort. Aber ich glaub keine einzige mit dieser Rot-Weiß-Rot-Card. Antwort nein.

Nachbaur: Das heißt für Sie ist es das offensichtlich trotzdem wert, die ganzen bürokratischen Hürden zu meistern, damit Sie dann die richtigen Leute vor Ort haben?

Wachsler-Markowitsch: Das geht nicht anders, ja müssen wir. Ich muss auch dort hingehen, wo ich die Mitarbeiter finde. Wir haben weltweit 700 Entwickler, die wir beschäftigen, verteilt auf 20 Entwicklungszentren, ich würde keine 700 Leute hier in Österreich bekommen.

Nachbaur: Ich danke Ihnen vielmals für das interessante Interview und Ihre Zeit.