Sozialisten in der ÖVP

Wie weit der Sozialismus schon in die ÖVP eingedrungen ist,  eine Partei angeblich mit wirtschaftlicher Vernunft, hat man dieser Tage geradezu exemplarisch vorgeführt bekommen. Der neue Vorsitzende der Fraktion Christlicher Gewerkschafter und führende Funktionär des ÖAAB  hat in mehreren Interviews seine Vorstellung von der Wirtschaft dargelegt. Wenn man als ÖVP-Obmann solche Freunde hat, braucht man keine Feinde mehr.

Norbert Schnedl plädiert für die 3,5 Tage-Woche. Wobei „die Summe für Löhne natürlich gleich bleiben muss; Wenn die Gewinne entsprechend sind.“ Wie ein Unternehmen die Gewinne „entsprechend“ hält, wenn es für weniger Arbeit gleich viel zahlen muss, verrät uns der gelernte Gendarm Schnedl nicht. Die 3,5 Tage Woche begründet er damit, dass es in Zukunft „weniger Arbeit“  geben werde und die müsse man dann eben besser verteilen. Das ist Wirtschaftsforschern längst widerlegt. Wenn  jede technische Revolution nur Arbeit vernichtet und nicht zugleich neue Arbeit geschaffen hätte, müssten noch heute die Arbeitslosen der ersten industriellen Revolution herumlaufen.

Mehr Beamte?

Für die Beamten gilt das alles freilich nicht. Beim Staat hat zwar auch die Digitalisierung Einzug gehalten, aber laut Schnedl mysteriöserweise  im Gegensatz zur sonstigen Arbeitswelt nicht zu weniger  Arbeit geführt, sondern zu mehr. Man müsse daher mehr Beamte einstellen: „Wegen der Flüchtlinge“ – die neue Generalausrede für alle  zusätzliche Ausgaben.  Man fragt sich, ob man mehr über die wirtschaftliche Ahnungslosigkeit oder die Unverfrorenheit Schnedls staunen soll.

Wer schweigt, stimmt bekanntlich zu.

Niemand aus der „Wirtschaftspartei“ ÖVP hat sich zu Wort gemeldet und widersprochen: Natürlich nicht der Parteiobmann, der aus dem Wirtschaftsbund kommt und hätte sagen müssen: „Herr Schnedl als Gewerkschafter mag das glauben, aber es ist nicht die Politik unserer Partei. Wenn wir  unser Land weiterbringen wollen, dann geht das nicht mit weniger Arbeit, sondern mit mehr“. Und wo ist der Obmann des Wirtschaftsbundes, der sonst keine Gelegenheit versäumt, den großen Wirtschaftspolitiker zu geben? Wer schweigt, stimmt bekanntlich zu. Also stimmen sie alle zu.

Ein Rest von wirtschaftspolitischer Vernunft

Wenn man Politiker überhaupt bedauern müsste, könnte einem nur der Finanzminister leid tun, der sich am selben Tag, als Schnedl seine Weisheiten und Ansprüche zum Besten gab, im Parlament abmühte, für einen Rest von wirtschaftspolitischer Vernunft zu werben und – nebenbei –  auf demonstratives Desinteresse des Regierungspartners gestoßen ist.

Dass die Bünde ein, wenn nicht gar das Problem der ÖVP sind, gehört zu den Gemeinplätzen der österreichischen Politikbetrachtung. Es hat freilich noch niemand eine anderes oder  besseres Organisationsmodell für diese einstige Volkspartei  erfunden. In Wirklichkeit ist es ein Führungsproblem. Ein Parteiobmann, der mit dieser Struktur der Partei – und das heißt natürlich mit den jeweils führenden Leuten  der Bünde (wie Herrn Schnedl) – umzugehen weiß, kann er davon profitieren. Es ist aber schon lange her, dass das ein ÖVP-Obmann gekonnt hat. Reinhold Mitterlehner braucht es auch nicht mehr zu lernen, denn seine Tage als Parteiobmann sind ohnehin gezählt.