Die Industrie ist der wichtigste Industrietreiber!

Interview mit Dr. Klaus Peter Fouquet, Alleinvorstand der Bosch Gruppe Österreich.

Bei einer Veranstaltung habe ich gehört, dass Sie gesagt haben, die Politiker reden immer nur von Start Ups, wenn es um Innovationen geht, dabei sind es doch in erster Linie die großen Industrieunternehmen, die Österreich mit ihrer Innovationskraft wettbewerbsfähig machen.

Ich halte tatsächlich die Industrie für den wichtigsten und größten Innovationstreiber für Innovationen in der Wirtschaft. Natürlich brauchen wir auch die Energie unserer Start Ups, aber was Innovationen anlangt – und da spreche ich von technischen Innovationen und weniger von Prozess-Innovationen oder guten Geschäftsideen – das ist das Terrain der Industrie. Start Ups haben ihre Stärken insbesondere, was gute Geschäftsideen, neue Prozesse oder innovative Apps betrifft. Um Innovationen marktfähig zu machen, braucht es viel Aufwand und Vorleistung. Deshalb kommt der Großteil der technischen Innovationen von der Industrie. Wenn wir bei Bosch Innovationen kreieren, dann schaffen wir das aufgrund unseres weltumspannenden Entwicklungsverbunds. Wir haben sehr gute Voraussetzungen, ein tiefes Verständnis von Technik und Systemen, aber auch die Expertise in der Fertigung. Die Frage ist ja auch: Kann ich ein innovatives Produkt auch fertigen? Diese Frage wird oft unterschätzt. Ein weiterer Aspekt von Innovationen ist auch die Arbeitsmethodik. Wir bei Bosch versuchen durch agile Arbeitsweisen im Innovationsentwicklungsprozess effizienter zu werden.

Was heißt agiles Arbeiten?

Wir sprechend da beispielsweise von Scrum und Design Thinking. Oder auch: In kleinen interdisziplinär besetzten Gruppen besser miteinander kommunizieren und schneller zum Ziel kommen.

Bosch ist bekanntermaßen führend in Innovation und Digitalisierung.

Für Forschung und Entwicklung geben wir jährlich rund 9% des Jahresumsatzes aus. Das sind doch 6 bis 7 Milliarden Euro pro Jahr. Weltweit beschäftigt Bosch rund 65.000 Ingenieure im Entwicklungsbereich, davon mehr als 1.000 in Österreich. Rund 120 Millionen Euro geben wir in Österreich jährlich für Forschung und Entwicklung aus.

Sind das lauter Techniker in Forschung und Entwicklung? Finden Sie genug?

Ein großer Teil der bei Bosch in Österreich beschäftigten Techniker stammt von HTLs. Wir zählen auf das fundierte technische Wissen der HTL-Absolventen. Genauso benötigen wir hoch qualifizierte Absolventen technischer Hochschulen, wobei besonders Studienrichtungen im Informatikbereich stark an Bedeutung gewinnen. Ob wir genug finden? Sagen wir so: Es gibt nie genug Techniker. Das ist ein weltweites Phänomen. Doch erfreulicherweise finden wir hier am Standort Österreich die Techniker, die wir brauchen. Für mich ist Wien diesbezüglich ein Hotspot. Man muss sich bei der Suche natürlich anstrengen, dabei ist unser Status als „preferred employer“ hilfreich wie auch die Hochschulen, die eine sehr gute Ausbildung bieten. Deutschland und ganz Zentraleuropa ist leergefischt, in Österreich gibt es erfreulicherweise vergleichsweise mehr Techniker.

Welche Rolle spielen Universitäten bei Innovationen aus Ihrer Sicht?

In Österreich haben wir eine intensive projektbezogene Zusammenarbeit mit den Universitäten. So arbeiten wir beispielsweise gemeinsam mit der Technischen Universität Wien an einem intelligenten Tool für die optimierte Planung von Testvorgängen. Dafür wurde heuer das 200. Christian Doppler Labor in Wien eröffnet. Die gute Ausbildung an den Hochschulen und damit die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften sind wichtig für den Innovationsstandort Österreich. Wir schätzen auch die Förderungen in Österreich und begrüßen sehr, dass die Forschungsprämie in Österreich auf 14% erhöht wurde. Die Förderlandschaft ist wichtig – sie erhöht die Attraktivität des Standorts.

Einer der Megatrends unserer Gesellschaft ist die Urbanisierung. Bosch hat zum Teil schon und arbeitet an vielversprechenden Lösungen für die Smart City, das Smart Home, Smart Mobility. Wie kann man erklären, was das bedeutet?

Die Überschrift für all das lautet Internet of Things und zunehmend auch künstliche Intelligenz. Smart City ist ein Begriff, der viel umfasst in Bezug auf Mobilität und Energiemanagement. Für Smart Cities bietet Bosch Lösungen in den Bereichen Mobilität, Energie, Gebäude, Sicherheit sowie E-Governance, also die digitale Stadtverwaltung. Im Bereich Energie zählen virtuelle Kraftwerke, energieeffiziente Heizungs-, Warmwasser- und Kühlsysteme sowie Energiespeicher zum Angebot. Die Sicherheitslösungen umfassen Systeme für Brandschutz, Zutrittskontrolle und Videoüberwachung. Für Wohngebäude bietet Bosch Smart Home-Technik und vernetzte Hausgeräte. Für die Mobilität sind dies zum Beispiel vernetztes Parken, E-Mobilität und Intermodaler Transport, sprich die Verknüpfung von verschiedenen Verkehrsmitteln.

Ein wichtiges Thema im Bereich der Mobilität ist das autonome Fahren. Das beginnt im Parkhaus, beispielsweise mit dem „automated valet parking“. Sie geben Ihr Auto an der Einfahrt einer Garage ab und das Auto parkt automatisch ein. Möglich wird dies unter anderem mithilfe einer intelligenten Parkhaus-Infrastruktur, die mit der Technik des Fahrzeugs vernetzt ist. Wir haben dazu gemeinsam mit Daimler schon ein Projekt in Stuttgart laufen. Das Parkhaus wird auch von Dritten genutzt, also es fährt jemand ganz normal mit seinem Auto hinein um zu parken, parallel dazu fahren Autos auch selbst. Ein weiteres Beispiel ist das „community-based parking“. Fahrzeuge haben die Fähigkeit freie Parkplätze zu scannen. Wenn man also in Wien am Ring fährt, sieht und vermisst das Auto Parkplätze und überträgt die erfassten Informationen in eine digitale Parkplatzkarte, mit deren Hilfe Stellplätze gezielt angesteuert werden können. Man weiß auch genau, ob der Abstellplatz für einen Kleinwagen oder auch für ein Fahrzeug der Oberklasse reicht. Bis zu 30% des Verkehrs in einer Stadt wie Wien werden durch Parkplatz suchende Fahrzeuge verursacht.

Ein anderes interessantes Thema ist die Intermodalität: Das heißt, dass ich jemanden die Fähigkeit vermittle optimal von A nach B zu kommen. Wenn ich also vom Büro nach Hause fahren möchte, dann sagt mir meine App: Unten steht ein Mietroller, fahr mit dem zur nächsten U-Bahn-Station bis zur U-Bahn-Station x und danach nimm wieder einen Mietroller. In Bezug auf öffentliche Verkehrsmittel gibt es solche Apps schon länger, jetzt sind auch andere Verkehrsmittel integriert.

Wann ist das alles soweit?

Neben den genannten Beispielen gibt es viele weitere smarte Lösungen, die bereits heute in praktischer Anwendung sind. Bis die Innovationen breite Verwendung finden, wird es noch dauern.

Ist Europa weit vorne oder hinten im Vergleich zum Rest der Welt?

Ich glaube die Chinesen sind uns voraus. Mit Tianjin zum Beispiel plant China ein Smart-City-Vorzeigeprojekt. Und Bosch wird Teil davon. Wir haben dort ein Projektbüro. Mit unseren vernetzten Lösungen wollen wir dazu beitragen, Tianjins Wirtschaftlichkeit und die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen. Auch in San Francisco wird durch unser Know-how ein ganzer Stadtteil zur Smart City ausgebaut. Unter anderem arbeitet Bosch an einer Smart Community App, mit der die Einwohner in Echtzeit lokalisierte Informationen erhalten über die öffentlichen Verkehrsmittel sowie Zugriff auf intelligente Sicherheitslösungen. In Planung sind auch zukunftsweisende Lösungen für eine effiziente Verkehrsführung, sparsame Energieversorgung und schlaue Gebäude, die für eine hohe Lebensqualität sorgen.

Die Vorteile sind offensichtlich. Aber Systeme, die allumfassend agieren und für eine ganze Stadt die Energie steuern sind anfällig für Hackerangriffe. Hollywood hat schon reichlich Stoff daraus gebaut…

Wir setzen für die Datenübertragung modernste Verschlüsselungstechniken ein, zum Beispiel die Sicherheitssoftware unserer Tochtergesellschaft escrypt, und gesonderte Firewalls, um ungewollten Zugriff von Dritten zu verhindern.

Eigentlich geht es um die Frage: Wer ist schneller, der Hacker oder die Firewall?

Datensicherheit ist Voraussetzung bei Verbindung von Fahrzeugen und Dingen mit der Cloud. Wir wollen unserer Verantwortung gerecht werden und nutzen deshalb ein vielschichtiges System für den Schutz und die Sicherheit von Daten. 100-prozentig sicher zu sagen, wäre unseriös, aber wir können das hinreichend absichern.

Sie haben China angesprochen. Man liest viel über die chinesische Scoring Card, wo Bürger überwacht und je nach Benehmen bewertet und auch sanktioniert werden.

Personenbeziehbare oder personenbezogene Daten werden bei Bosch mit modernster Technik verschlüsselt übertragen und gespeichert. Zugriff erhalten nur Systeme und Personen, wo Zugriff unbedingt notwendig ist. Was wir zum Beispiel machen können, möchte ich Ihnen anhand eines Beispiels einer kroatischen Stadt schildern, die sehr unter Unmengen von Touristen leidet und uns um Unterstützung gebeten hat: Sie wollten wissen, was man in Bezug auf die Überwachung von Mengen machen kann. Wir haben eine Kamera, die über den Platz schaut und registriert, wenn sich irgendetwas falsch bewegt. Das merkt die Kamera selber, da sitzt kein Mensch hinter dem Bildschirm. Wenn es also Gedränge gibt, wird ein Signal ausgelöst und dann kann nachgesehen werden, was los ist.

Haben Sie den Eindruck, dass die Österreicher für all diese Anwendungen gerne ihre Daten teilen?

Wir sagen dem Kunden genau, was wir mit Daten tun. Und wir werden auch nichts anderes damit machen. Unser Grundsatz: so viele Daten wie nötig und so wenig Daten wie möglich. Wir haben bei Bosch nicht zuletzt dank der eigenen Entwicklungen strenge Datenschutzrichtlinien, die häufig restriktiver sind als die gesetzlichen Vorgaben. Durchsetzen wird sich das Internet der Dinge nicht ohne das Vertrauen der Menschen. Unser klares Ziel: Der Nutzen der Vernetzung muss die Risiken bei weitem übersteigen.

Neben Forschungsförderung, was sollte die Politik tun, damit wir in Österreich innovativ bleiben können und einen Wettbewerbsvorteil haben?

Für das Institut der Forschungsförderung sind wir dankbar. Wir begrüßen auch die neue Regelung zur Arbeitszeitflexibilisierung. Sollte mal Not am Mann sein, können wir in einem bestimmten Zeitraum länger arbeiten, natürlich alles im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes. Es gäbe aber noch Wichtiges zu tun, wie zum Beispiel erweiterte Langzeitarbeitskonten, die bis zu 300 Stunden ins Plus und ins Minus gehen können. Das haben wir zum Teil schon mit Betriebsvereinbarungen ermöglicht, aber es ist nicht gesetzlich verankert. Was den Bildungsbereich anlangt, brauchen wir mehr Kapazitäten an den technischen Universitäten und noch mehr Menschen, die Technik studieren wollen.

In Ihrem Wiener Headoffice steht eine große Tafel, die die Wissensfabrik bewirbt. Was kann man sich darunter vorstellen?

Die Wissensfabrik ist eine offene Plattform der Industrie. Bosch ist Gründungsmitglied in dieser Vereinigung von zehn Unternehmen, die sich zusammengetan haben, um Kinder und Jugendliche für das Technik und Naturwissenschaften zu begeistern. Wir stellen beispielsweise Baukästen zur Verfügung und trainieren die Lehrer. In den letzten fünf Jahren haben wir fast 5.000 Schüler erreicht. Das machen wir über Patenschaften von Mitarbeitern aus den Partnerunternehmen, die dann eine Schule betreuen.

Was ist Ihre Bosch Lieblingsinnovation?

Das elektronische Stabilitätsprogramm ESP ist ein gutes Beispiel. Ausgehend vom ABS verhindert es das Schleudern. Es ist deshalb ein gutes Beispiel, weil es viele Menschenleben gerettet hat. Da passt das Motto „Technik fürs Leben“ wunderbar, auch wenn diese Innovation schon recht alt ist. Es gibt viele Innovationen im Kleinen. Wir haben beispielsweise das E-Bike groß gemacht. Es wurde gut am Markt angenommen, weil der Nutzer das Gefühl hat, er muss etwas tun. Vor einiger Zeit war ich in Schladming wandern, plötzlich überholt mich ein älterer Mensch in flottem Tempo bergauf am E-Bike. Das hat Bosch möglich gemacht. Ein ABS kommt demnächst auch dazu, und wir haben einen sehr gut funktionierenden Board Computer für E-Bikes. Wir haben auch lernfähige Roboter geschaffen, die mit Menschen zusammenarbeiten können. In der Fertigung bringt die Kombination von Mensch und Roboter oft die besten Ergebnisse. Roboter unterstützen bei der Verbesserung von Arbeitsabläufen, indem sie beispielsweise monotone Arbeiten übernehmen und so für eine höhere Produktivität sorgen. Die Menschen können sich kreativen und wertschöpfenden Aufgaben widmen.

Sehen Sie eine Zukunft für den Verbrennungsmotor oder steht der komplett am Abstellgleis?

Wir bei Bosch haben eine Vision: Der Verkehr der Zukunft soll möglichst emissions-, unfall- und stressfrei werden. Der Weg dorthin führt über die Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung von Nutzfahrzeugen. Ein wichtiger Meilenstein für uns ist, den Fahrzeugantrieb effizienter zu machen und damit Verbrauch, CO₂- und Stickoxid-Ausstoß zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, entwickeln wir sowohl den Verbrennungsmotor als auch alternative Antriebslösungen weiter.

Stecken da immer noch viele Effizienzen drinnen?

Ja, die haben nach wie vor großes Potential.

Warum hypt die Politik, vor allem die europäische, Elektrofahrzeuge?

Das müssen Sie die politisch Verantwortlichen fragen. Es stellt sich in dem Zusammenhang ja auch die Frage nach der Energieversorgung. Wenn in Wien nur 30% aller Menschen sich elektrisch bewegen würden und alle abends zwischen 16:00 und 20:00 ihre Fahrzeuge aufladen wollen würden, würde – so nehme ich an –  das Netz zusammenbrechen. Da sind also noch einige Aufgaben zu lösen.

Ich bin amerikanophil, sehe es aber sehr kritisch, dass die USA Vorschriften ausschließlich für Diesel PKW erlassen haben, die sie selbst nicht produzieren. Das war doch eine klare Botschaft an die unliebsame Konkurrenz aus Deutschland, oder?

Sagen wir so: Die Technologie, die dort angewendet wird, ist nicht state-of-the art. Da muss man nach Europa schauen. Europa ist da führend.

Ich hoffe, dass dieser Hype um das Elektroauto einen Reality-Check erfährt und dass unsere Automobilindustrie, die für viele Jahre unser Wohlstandsgarant war, weiterhin erfolgreich sein kann. Der Elektromotor ist ja kein Ingenieurskunstwerk, den kann man besser und billiger in China produzieren.

Natürlich darf die Erhaltung der Arbeitsplätze nicht zum Selbstzweck werden. Man muss auch die Umwelt sehen, aber ich würde mich auf den Markt verlassen.

Der Markt ist doch verfälscht. Wenn die Regierung sagt, du bekommst Zuschuss X wenn du elektrisch fährst, sonst zahlst du Steuer Y.

Wenn eine andere Antriebsart es schafft sauber zu sein, besteht kein Anlass mehr, solche Gesetze zu machen. Dazu kommen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Elektrofahrzeugen, die Fragen der Reichweite und der Ladeinfrastruktur. Es gibt aber auch Hybrid-Fahrzeuge. Ich selbst fahre ein Hybridfahrzeug, das ist eine gute Lösung. Was Verbrauch und Emissionswerte angeht, sind Hybridfahrzeuge hervorragend aufgestellt.

 

Dr. Klaus Peter Fouquet wurde Anfang April 2015 zum Alleinvorstand der Robert Bosch AG und Repräsentanten der Bosch-Gruppe in Österreich ernannt. Im Laufe seiner mehr als 25 Jahre bei Bosch war er in vielen Bereichen tätig – zuletzt (seit Juli 2009) Präsident von Bosch UK (Vereinigtes Königreich). Diese Position umfasste zwei Hauptverantwortungsbereiche: Präsident der Robert Bosch Ltd und Executive Vice President, Sales Automotive Systems in Großbritannien und Benelux. Peter Fouquet studierte von 1978 bis 1983 in Deutschland Wirtschaftswissenschaften und arbeitete für vier Jahre als Assistenzprofessor an der Universität von Mannheim.