Eine offene Geisteshaltung ist essentiell

Seit 2008 ist Marion Poetz an der Copenhagen Business School Professorin für Innovationsmanagement und beschäftigt sich mit Innovation sowohl in der Forschung, in der Lehre als auch als Beraterin. Marion Poetz ist auch im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Copenhagen Business School und der Ludwig Boltzmann Gesellschaft in Wien seit Anfang 2017 die wissenschaftliche Leiterin des Open Innovation in Science Centers der Ludwig Boltzmann Gesellschaft.

 

Betreiben Sie Grundlagenforschung oder sind Sie ein Brückenschlag zur Industrie?

Beides, in meiner Forschung interessieren mich Einflussfaktoren auf und Effekte von offener und kollaborativer Wissenschaft und Innovation. Ich beschäftige mich dabei vor allem mit neuen Spielarten von Innovationsprozessen und entsprechenden Strategien und Organisationsformen dafür. Ich unterscheide mich insofern von einigen meiner KollegInnen, als ich seit vielen Jahren auch Outreach betreibe, dh ich gebe mein Wissen im Rahmen von Executive Education, Advisory Board Funktionen und Consulting Projekten weiter und profitiere umgekehrt von dieser guten Vernetzung mit der Außenwelt, weil dadurch auch immer wieder neue, spannende Impulse für die Grundlagenforschung entstehen.

Womit beschäftigen Sie sich zur Zeit in der Grundlagenforschung?

Eines der besonders spannenden Themen, mit welchem wir uns derzeit im Rahmen der Forschung am Open Innovation in Science Center der Ludwig Boltzmann Gesellschaft beschäftigen, ist die Frage, wie funktioniert Forschung Neu im weitesten Sinne. Die Kritik an der Forschung im Elfenbeinturm ist ja bekannt. Der Vorwurf, der im Raum steht ist, dass sich die Forschung mit Themen beschäftigt, die für die Gesellschaft wenig oder gar nicht relevant sind. Die Fragestellungen, mit denen wir uns dazu aktuell beschäftigen lauten: Welche Faktoren beeinflussen Prozesse und Ergebnisse von offener und kollaborativer Forschung, die Bürgerinnen und Bürger und andere Stakeholdergruppen einbindet? Was beeinflusst, dass Forschung wirkungsstärker wird, also mehr „Impact“ hat und was bringt es, wenn sich Forschung auch mehr in Richtung Nicht-Forscher öffnet. Es gibt bereits erste interessante Studien über den Wert der Einbindung von Nicht-Forschern in die Forschung, zB über Crowdsourcing und darüber, wie offenere Forschung dazu führen kann, dass mehr hochwertige Forschungsergebnisse in Innovationen münden.

Sie sprechen oft das Wort „offen“ an. Was versteht man unter dem Begriff „Open Innovation“?

Open Innovation ist derzeit ein sehr gehypter Begriff, der meiner Meinung nach nicht immer korrekt verwendet wird. Manchmal werden auch Dinge, die man schon längst macht einfach nur mit dem Open Innovation Label versehen. Das wichtigste Prinzip hinter Open Innovation ist das zielgerichtete Managen von Wissensflüssen über organisationale Grenzen hinweg – mit dem Ziel Innovation zu generieren. Da fallen natürlich unterschiedlichste methodische Ansätze darunter, wie Crowdsourcing auf der einen Seite bis hin zur Zusammenarbeit von Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen auf der anderen Seite. Open Innovation bezieht sich dabei sowohl auf den Prozess, neues Wissen aus der Außenwelt systematisch in eine Organisation hineinzubringen als auch drauf, bestehendes Wissen in Unternehmen zb in Form von Patenten systematisch nach außen zu tragen, das heißt neue Anwendungsfelder zu finden und damit u.a. auch neue Märkte zu erschließen.

Was ist der Nutzen für ein klassisches KMU?

Ich bin der Ansicht, dass gerade KMU überdurchschnittlich stark von Open Innovation profitieren können. Durch smarte Verbindungen mit der Außenwelt können gerade sie Nachteile, die aus der Unternehmensgröße entstehen abfedern und die Vorteile daraus nutzen.  Damit der Wissenstransfer auch funktioniert braucht es natürlich bestimmte Fähigkeiten und es kommt es immer darauf an, welche Herausforderung man bearbeiten möchte. In Dänemark haben wir zB mit Förderung der dänischen Industry Foundation ein KMU Crowdsourcing Lab entwickelt und die erste Runde mit 20 teilnehmenden KMUs vor kurzem abgeschlossen. In geblockten Trainingseinheiten und anhand der Durchführung von realen Projekten konnten die KMUs lernen und ausprobieren  wie man Crowdsourcing als KMU verwenden kann. Daraus sind zwei sehr erfolgreiche Innovationsprojekte entstanden. KMUs oder generell jeder, der sich für Open Innovation öffnet, kann sich selbst weiterbilden, und/oder Experten holen, die dabei helfen, ein erstes Projekt durchzuführen. Für KMUs ist die Vernetzung untereinander auch besonders wichtig, damit sie sich gegenseitig über Projekte austauschen können und Zugang zu Experten bekommen, die Unterstützung für neue Projekte leisten.

Dänemark scheint Österreich hier voraus zu sein. Was muss in Österreich geschehen, damit wir nicht hinterher hinken?

Ich denke, dass die letzte Regierung mit der Open Innovation Strategie sehr spannende Impulse gesetzt hat. Es braucht die richtigen Ökosysteme für Open Innovation in Zusammenhang mit Strukturen, Prozessen und generell einer dafür offenen Kultur. Letzteres ist gerade in Österreich ein Thema, denn wir haben in etlichen Bereichen doch eine Kultur, die Neuem gegenüber nicht sehr aufgeschlossen ist…da herrscht oft große Angst, dass man durch das Teilen von Wissen einen Nachteil erleiden könnte. Das mag im Einzelfall tatsächlich so sein, aber Open Innovation funktioniert nur dann, wenn es Wissensflüsse über Grenzen hinweg gibt. Diese können monetäre Gegenleistungen haben, oder auch nicht. Was also Kultur, Strukturen und Prozesse auf Ökosystemebene anlangt – da kann die Politik einen wichtigen Beitrag leisten. Ein Hauptpunkt für mich, um solche Prozesse nachhaltig integrieren zu können, ist das Thema Capability Building. Unternehmen, aber auch andere Organisationen die erfolgreich innovieren möchten, brauchen Know-how und Skills, um qualifiziert entscheiden zu können, wann welche Form der Öffnung und Zusammenarbeit mit externen Wissensgebern sinnvoll ist. Im 21. Jahrhundert stehen Innovatoren nicht mehr vor der Frage, ob sie in ihrer Innovationstätig offen sind, oder nicht, sondern wie offen sie sind, je nach Aufgabenstellung und Rahmenbedingungen.

Ist das eine Frage der Bildung und Ausbildung?

Ja natürlich, es ist eine Frage des generellen Bildungssystems. In Sachen Innovation ist im Bildungsbereich in Österreich sicher noch Luft nach oben. Das ist natürlich etwas, das nicht an der Universität beginnt, sondern bereits im Kindergarten. In Dänemark zB ist klar, dass die meisten Kinder mit einem Jahr in den Kindergarten gehen und es wird schon den Kindern weniger Wissensspeicherung, sondern mehr Problemlösungsfähigkeit beigebracht. Es geht um Leadership, Personal Development, Kulturwandel, dass man sich vor Neuem nicht fürchtet. Ich bin keine Bildungsexpertin, aber Bildung in dieser Hinsicht neu zu denken, ist sicher ein wichtiges Thema. Das ist natürlich eine langfristige Investition, wo unklar ist in welche Richtung Österreich geht. Was aber kurzfristiger umgesetzt werden kann, sind Räume, wo interessierte Individuen mit interessierten Unternehmen und Wissenschaftern mit diesen neuen Innovationsformen experimentieren können. In Österreich haben wir vom Open Innovation Science Center an der Ludwig Boltzmann Gesellschaft beispielsweise vor einigen Jahren ein Lab für Open Innovation in Science (LOIS) entwickelt und mittlerweile bereits mehrmals durchgeführt. Das LOIS ist ein Experimentierraum, wo Wissenschafter und Wissenschafterinnen in einem „Safe Space“ lernen können, wie offene und kollaborative Forschung und deren Überführung in Innovation funktionieren kann, wobei sie bei diesen Projekten begleitet werden. Also ein „Learning on the Job“, eine Mischung aus Training und tatsächlichem Ausprobieren mit Supervision, wo man sich komplexen Aufgabenstellungen nähern kann. So eine Form, mit Neuem zu experimentieren könnte auch für Politiker interessant sein, denn auch die Art und Weise wie im 21. Jahrhundert Politik gemacht wird könnte eine Portion Innovation vertragen.

Also einerseits muss der Staat das Bildungssystem überdenken und in Richtung Innovation neu ausrichten und modernisieren, um eine offenere Geisteshaltung der Menschen zu vermitteln, und andererseits soll der Staat Labs unterstützen, wo Firmen eingeladen werden mitzumachen?

Ja, die offene Geisteshaltung ist essentiell und bzgl. der Labs – lassen Sie es uns lieber Experimentier-Räume nennen. Lab ist auch so ein überstrapazierter Begriff geworden. Man muss sich überlegen, welche Akteure brauchen Starthilfe, nachhaltig zu lernen wie Open Innovation geht. Im Idealfall ist diese Starthilfe so gestaltet, dass das Wissen direkt in die Organisationen kommt und diese beim zweiten Mal selbstständig damit arbeiten können. Es geht nicht um das Verkaufen von Consulting Leistungen sondern um ein „Enabling“. Wie, wo und für welche Akteure das institutionalisiert wird und ob es dafür überhaupt physische Räume braucht, kann man nicht über einen Kamm scheren. Hier kann aber die Politik einen wesentlichen Beitrag leisten, dass qualitativ hochwertige Experimentier-Räume geschaffen werden. Damit solche Initiativen in der Gesellschaft ankommen, ist schlussendlich auch wichtig, wie darüber kommuniziert wird. Auch hier kann die Politik signalisieren –  das ist uns wichtig.

Am Ende des Tages müssen wir einfach wettbewerbsfähig bleiben.

Genau, ich möchte an der Stelle betonen, dass Open Innovation kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck ist. Wichtig ist, dass darüber ein Mehrwert geschaffen wird, egal ob in Industrieunternehmen, einem 15-Mann/Frau Tischlereibetrieb, oder einer Non-for-Profit Organisation. Hin und wieder kommt ein Unternehmen zu mir und sagt, ich möchte ein Crowdsourcing Projekt machen. Meine erste Frage lautet: Wofür eigentlich? Welche Herausforderungen gilt es zu adressieren, welche Innovationsziele zu erreichen? Passt ein Crowdsouring Ansatz als Innovationstool? Es bringt nichts auf Crowdsourcing, Labs und Apps zu setzen weil diese gerade „in“ sind. Am Schluss entstehen so womöglich nur Zombie-Plattformen,  deren Output nie zur Lösung innovationsrelevanter Problemstellungen verwendet wird.