Die Chirurgie ist ein Handwerk, das geübt werden muss

Interview mit Univ.Prof. Dr. Karlheinz Tscheliessnigg, Vorstandsvorsitzender der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H.

 

Was zählen Sie zu Ihren größten medizinischen Erfolgen?

Jedenfalls die Einführung und jahrelange Durchführung von Transplantationschirurgie in der Steiermark. Wir haben doch schon in den 80er Jahren, kurz nach der Einführung des Ciclosporins A , einem Immunsuppressor, das zu einer Renaissance der Transplantationschirurgie geführt hat, mit der Herztransplantation begonnen. Das erste Mal war das leider nicht sehr erfolgreich und hat unserem Empfänger nur 42 Tage des Überlebens gebracht. Er ist dann an einer Herpes-Infektion gestorben, was heute aufgrund medikamentöser Möglichkeiten kein Problem mehr wäre. Das habe ich zum Anlass genommen mir alles zweieinhalb Jahre lang in Stanford, dem Mekka der Transplantationschirurgie, als Research Fellow anzusehen und bin dann mit dem eigentlichen Transplantationsprogramm zurückgekehrt. Das habe ich im Jahr 1986 begonnen und Gott sei Dank war es schon im ersten Jahr außerordentlich erfolgreich. Studienaufenthalte in Pittsburgh, Hannover, München und Paris folgten. Es kam die Lebertransplantation dazu, die Herz-Lungen-Transplantation und letztendlich sind wir durch die Gründung einer Abteilung geadelt worden. Es wurde ausgeschrieben und ich war der erste berufene Professor für Transplantationschirurgie am Uniklinikum Graz. Mittlerweile gibt es eine Abteilung für Herzchirurgie und eine für Transplantationschirurgie und ich habe beide Abteilungen geleitet. Aus der Transplantationschirurgie heraus sind auch Organersatzmethoden entstanden, wo wir die erste Kunstherzimplantation in Österreich hatten. Wir hatten auch den längsten Kunstherzpatienten. Wir waren außerdem die ersten im deutschsprachigen Raum, die die sogenannte Cardiomyoplastie eingeführt haben, das ist die Entwicklung des Rückenmuskels, eingezogen in den Brustraum zur Umwicklung des Herzens mit einem Spezialschrittmacher, damit wir die Schläge des Herzens abnehmen konnten, an den Muskel weiterleiten, der dann das Herz umschloss und wie eine Faust mitgepumpt hat. Das war für all jene, die die Immunsuppression aus irgendeinem Grund nicht vertragen haben, eine gute Sache. Inzwischen macht man das nicht mehr, weil das Kunstherz mittlerweile so klein geworden ist und so gut arbeitet, dass man auf derartige Methoden verzichten kann. Ich glaube aber, dass in Entwicklungsländern, wo es keine so teuren Implantate gibt, nach wie vor eine gute Methode ist. Die Ventrikelsynchronisation mit einem Spezialschrittmacher als Mittel gegen die Herzinsuffizienz ist von mir weltweit das erste Mal angewendet worden. Ein heute etabliertes Verfahren, das ca. 12 – 15% der Patientinnen und Patienten von der Warteliste für Herztransplantation nimmt und ihnen auf elegante Weise hilft.

Nachdem Sie als Universitätsprofessor emeritierten, wurden Sie gleich Chef der KAGes.

Die Pause war tatsächlich kurze eineinhalb Monate lang. Ich habe kurz in die Pensionierung hineingeschnuppert, aber es sollte nicht sein und ich bin sehr froh darüber, dass ich das Privileg habe, weiter arbeiten zu dürfen und Dinge mitentscheiden zu können, die ich zum Teil ja noch als Vorstand der Chirurgie eingeleitet habe, wie zum Beispiel das Universitätsklinikum 2020 Bauprojekt.

Ein gigantisches Bauprojekt.

Ja tatsächlich, es gibt neben dem kompletten Neubau der Chirurgie, auch einen Neubau der Radiologie, der Blutbank, der Zahnklinik und eine Neuausrüstung der Strahlentherapie. Dieses Projekt haben wir seinerzeit noch gemeinsam mit Landeshauptmann Schützenhöfer und dem damaligen Finanzminister Pröll aus der Taufe gehoben.

Ist das ein geteiltes Bundes- und Landesprojekt?

Ja es ist ein paktiertes Projekt, worum wir lange Zeit kämpfen mussten. Wir wollten 50:50, geworden ist es letztlich 60:40, wobei das Land Steiermark die 60% trägt. Die neuen Teile, zum Beispiel der Neubau der Blutbank, werden zu 70% vom Land finanziert und zu 30% vom Bund.

Hat auch die Entwicklung der großen medizinischen Universität damit etwas zu tun?

Ja, im Jahr 2004 war ich im Gründungskonvent Vorsitzender der neuen Universität, dann im Rektorat als Vizerektor für den klinischen Bereich, wo das entstanden ist. Gemeinsam mit dem Kollegen Samonigg, dem jetzigen Rektor, konnten wir den neuen Campus und das LKH-Univ.Klinikum 2020 aus der Taufe heben, wobei ich für den klinischen Baubereich zuständig war und Samonigg für den Campus.

Man liest immer, dass wir zu viele Krankenhausbetten in Österreich haben. War der gewaltige Ausbau der Klinik an die Bedingung gebunden, dass dafür andere Spitäler geschlossen werden?

Nein überhaupt nicht, weil das voneinander unabhängige Budgetblöcke sind. Außerdem ist es auch so, dass auch im Uniklinikum die Anzahl der Betten gesunken ist. Das entspricht der heutigen Form der Medizin, die minimal invasiv ist und den Vorteil hat, dass der Patient nicht mehr so lange wie früher im Spittal bleiben muss. Wir haben die Liegezeit auf rund 5 Tage reduziert, früher einmal waren es 14 Tage bis zu vier Wochen.

Das heisst, alleine deswegen braucht man schon weniger Betten.

Ja erstens deswegen und zweitens ist es so, dass man in der Peripherie aufgrund der Ärzteausbildung und aufgrund des Ärztearbeitszeitgesetzes immer weniger Spezialisierung bieten kann und man aber immer mehr Ärzte für die Häuser braucht. Das ist der Grund für die Medvision 2030, die vorsieht, dass wir in der Peripherie Verbünde bilden. Es geht um die Konzentrierung der Mannschaften und der Tätigkeiten. Nur so kann die Ausbildung  gewährleistet werden, wobei heute nur das Universitätsklinikum eine vollwertige Ausbildung anbieten kann. Die peripheren Spitäler sind nur mehr in der Lage Teilausbildungen anzubieten. Die kleinen Spitäler können aufgrund der mangelnden Anzahl an Fachärzten und Oberärzten gar nicht mehr ausbilden. Das wird oft übersehen, ist aber mit einer der Gründe, warum zum Beispiel die Thoraxchirurgie in Leoben nicht mehr weitergeführt werden kann. Wir hatten zwei Zentren: das Uniklinikum und Leoben. Und bei beiden Zentren waren zu wenig Oberärzte und zu wenig Patienten. Wir führen das nun am Uniklinikum zusammen, um genügend Patienten zu haben, auch mit leichteren Fällen, die für junge Ärzte assistierbar sind. Die Medizin zentralisiert sich daher zunehmend und wir sprechen von einer abgestuften Versorgungsplanung, wo wir sagen: egal, wo der Patient aufschlägt, wird er in die richtige Schiene gesetzt und er kommt dort hin, wo wir ihn am besten behandeln können.

Es kommen viele in die Ambulanz, weil sie keinen Hausarzt haben, weil es vielleicht Wochenende ist, oder weil sie ihre Beschwerden womöglich falsch einschätzen. Würde eine Ambulanzgebühr Abhilfe schaffen?

Das hatten wir schon und es hat sich überhaupt nicht bewährt. Es waren damals 100 Schilling für einen Ambulanzbesuch ohne Einweisung. Es war kein Steuerungselement. Wir bilden aber jetzt die integrierte Portalordination als Teil unserer Zentralen Notaufnahme, wo der Fußgänger, der hereinkommt zuerst in die mit Allgemeinmedizinern besetzte Ordination kommt. Dort wird triagiert, ob der Patient tatsächlich in die dahinterliegende Notaufnahme kommen muss, oder ob es etwas ist, was man als praktischer Arzt behandeln kann, wo man den Patienten also mit Medikamenten oder guten Ratschlägen wieder nach Hause schicken kann.

Wo kommt der Begriff Triage her?

Das kommt aus dem Kriegssanitätsvorgehen, wo man jene Patienten, die noch eine Chance hatten, vorgezogen hat. Also eigentlich genau umgekehrt als es heute ist, wo natürlich besonders dringende Fälle als „rot“ eingestuft und als erstes genommen werden, dann die mittelschweren „gelben“ und als letztes jene, die auch länger warten können. Die sind „grün“. Dieses sogenannte Manchester Triage System kommt immer mehr in ganz Europa.

Und Sie nehmen an, dass viele durch die absehbar lange Wartezeit die Spitalsambulanzen künftig  meiden werden?

Nein, sondern jene, die jetzt als „grün“ eingeteilt werden, kommen gar nicht herein, sondern werden vorne in der Ordination behandelt. Nur „gelb“ und „rot“ kommen in die zentrale Notaufnahme.

Teilen Sie den Befund, dass wir zu viele Betten in Österreich haben?

Ja, also wenn man das mit anderen Staaten in Europa vergleicht, haben wir nicht nur die größte Ärztedichte, sondern auch die meisten Betten.

Warum?

Ich glaube, das liegt an dem System, das hunderte Jahre alt ist. Wir hatten schlechte Straßen und eine im Vergleich zu heute relativ einfache Medizin, wo in vielen Regionen oft ein einzelner Arzt alles im Rahmen seiner Möglichkeiten überschaut hat. Das geht heute alles nicht mehr. Heute ist alleine die Chirurgie in bis zu zehn Fachrichtungen geteilt. Gearbeitet wird zunehmend im Team, immer weniger als Einzelperson. Um das zu organisieren, braucht es ein Zentralspital, in unserem Fall das Uniklinikum, ein oder zwei Schwerpunktspitäler und Standardspitäler, die alle miteinander verbunden und vernetzt sind. Wir nennen es „das grüne Netz der Steiermark“ – Netz auch in dem Sinne, dass niemand durchfällt, sondern jeder aufgefangen wird und an die richtige Stelle weitergeleitet wird.

Das heißt aber auch, dass es nicht überall ein Spital geben kann.

Richtig. Dafür gibt es aber die primary health care centers oder Gesundheitszentren, wo sowohl in den Spitzenzeiten, als auch in den Tagesrandzeiten Ärzte da sind, die sich auskennen. So kann von Fall zu Fall entschieden werden, zB „Das ist ein Herzinfarkt, also sofort mit dem Hubschrauber in die Kardiologie“, oder „Aha, Grippe. Tee trinken und schwitzen gehen.“

Sie sagten, wir hätten die größte Ärztedichte in Europa, dabei hört man doch immer vom Ärztemangel.

Es stimmt insofern, als durch das Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz immer weniger Ärzte im Krankenhaus sind, weil sie Ruhezeiten einhalten müssen. Wir haben seinerzeit nach dem Dienst ganz normal weitergearbeitet, während man heute nach Hause gehen muss und auch den ganzen nächsten Tag zu Hause bleibt und erst am darauf folgenden Tag wieder eine Anwesenheitspflicht hat.

Das heißt natürlich auch, man verdient viel weniger.

Nicht unbedingt, zu diesem Thema komme ich gleich. Aber ich sehe ein großes Problem darin, dass wir dadurch relativ zu wenige Ärzte in den Krankenhäusern haben. Und es bedeutet auch, dass des der einzelne Arzt ungefähr ein Drittel weniger Anwesenheit in seiner Ausbildungszeit hat, die aber gleich lange geblieben ist, nämlich fünf bis sechs Jahre. Die Frage stellt sich, wie man das ausgleichen kann. Heute sieht ein junger Arzt viel weniger, er sieht auch seine eigenen Komplikationen nicht, weil er am nächsten Tag nach Hause geht. Aus diesem Grund haben wir das erste Simulationszentrum in Österreich eröffnet, wo wir wie die Piloten ein Trainingscenter für Ärzte haben, hauptsächlich für die Chirurgen, aber auch für die konservativen Fächer. Da sind wir in der Lage Operationen, Notfälle, die Handlungen im Notarztwagen zu simulieren, und dadurch können wir die mangelnde praktische Erfahrung etwas abfedern. Der zweite Grund, warum wir scheinbar wenig Ärzte haben, ist, dass die Peripherie und überhaupt das Land Schwierigkeiten hat, gewisse niedergelassene Stellen zu besetzen. Vor allem die Obersteiermark ist hier sehr betroffen, da geht niemand mehr hin. Kinderärzte haben wir überhaupt viel zu wenige. Im Murtal und im Ennstal sind seit einem Jahr die halben Kinderarztstellen nicht besetzt.

Was halten Sie von einem steuerlichen Lockmittel? Wer sich dort niederlässt, hat eine steuerliche Vergünstigung für 5 Jahre?

Ja, das könnte eine Möglichkeit sein. Aber glaube auch, dass Gemeinschaftspraxen helfen werden, denn vor allem die Mangelfächer sind dominant weibliche Fächer geworden, und vor allem Frauen wollen im Team arbeiten. Ich glaube diese Einzelkämpfermentalität, die man früher beim niedergelassenen Bereich hatte, ist verloren gegangen. Heute will man die Last der Verantwortung aufteilen.

Das heißt man könnte steuerliche Vorteile schaffen oder hoffen, dass die Gemeinschaftspraxen, wo man im Radl arbeiten kann, diesem Ärztemangelproblem am Land Abhilfe schaffen.

Genau. Das mit der Bezahlung ist aber natürlich so eine Sache…diese Antwort bin ich noch schuldig. Ärzte dürfen heute maximal vier Dienste machen, das heißt vier mal 24 Stunden pro Monat. Wir hatten früher 24 Stunden Journaldienst, dann ist man noch ungefähr 12 Stunden geblieben, und hat einfach den Tag fertig gemacht. Am nächsten Tag ist man dann normal wieder gekommen. Wir haben seinerzeit bis zu 15 Journaldienste gemacht, das war natürlich für den gewaltigen Arbeitsaufwand auch sehr gut bezahlt. Ganz abgesehen davon, dass wir bestens ausgebildet wurden und enorme Erfahrungen sammeln konnten. Das gibt es heute alles nicht mehr, aber damit dieser Gehaltssprung nach unten nicht so groß ist, haben wir zur Abfederung in das Grundgehalt zwei Nachtdienste eingebaut. Allerdings scheint das bei manch einem in der Ärztekammer längst wieder in Vergessenheit geraten zu sein 😊 Wie auch immer, wir haben viel Geld in die Hand genommen, alleine die KAGes 38 Millionen Euro.

Wie viele Ärzte gibt es in der KAGes?

Über 1000 hier im Klinikum. Alles in allem sind es 4200 Ärzte. Insgesamt haben wir 18200 Beschäftigte, wir sind der größte Arbeitgeber des Landes.

Aus Ihren Bemerkungen zu neuen Ärztearbeitszeitgesetz höre ich heraus, dass es wohl eine überschießende Regelung geworden ist.

Es ist so. Die EU hat einen Rahmenvertrag für das Krankenanstalten Gesetz gegeben und Österreich war sehr lange säumig. Als es dann endlich zur Umsetzung kam, waren wir Musterschüler in Europa und machten das in einer Härte, dass unsere deutschen Besucher nur so staunen. Ein klarer Fall von Golden Plating.

Sie erzählen von Ihrer Zeit als Sie noch Chirurg waren, wie Sie 24 Stunden Journaldienst gemacht haben, dann nochmal 12 Stunden, einmal schlafen und dann schon wieder weiterarbeiten…kann man da noch bei voller Konzentration operieren?

Ich kann Ihnen versichern, wir waren weder Schlafwandler, noch volltrunken – es heißt ja, dass sich Schlafentzug wie 0.5 Promille anfühlt – sondern man hatte einen starken Adrenalinausstoß. Danach war man natürlich groggy und ist schlafen gegangen…oder in jungen Jahren ist man sogar noch auf den Ball gegangen 😊 später dann sicher nicht mehr…Tatsache ist, man kann einen chirurgischen Beruf in der Ausbildung mit keinem anderen vergleichen. In der Nacht ist die erste Möglichkeit, wo man alleine ist und auch alleine die Verantwortung trägt. Das ist eine unglaubliche Schule.

Ihnen geht es also in erster Linie um die Erfahrung, die ein junger Arzt früher sammeln konnte, was heute einfach nicht mehr so stattfindet.

Ich sage in dem Zusammenhang immer, wenn Marcel Hirscher das 10.000ste Tor hinunterfahrt, finden das alle ganz logisch, weil sonst wäre er nicht Weltklasse. Interessanterweise sehen das die Leute bei den Chirurgen nicht so, es ist aber dasselbe. Es ist ein Handwerk, das man nur lernt, wenn man es oft ausübt.

Apropos lernen. Jeder kennt die Fotos aus der Stadthalle, wenn tausende junge Leute bei der Medizin Aufnahmeprüfung sitzen. Ist das der richtige Zugang, wenn wir doch überhaupt und vor allem am Land zu wenig Ärzte haben?

Die Antwort ist: Wir bilden genügend Ärzte aus. Es wäre natürlich günstig, wenn alle Ärzte, die wir ausbilden, auch in Österreich blieben. Dem ist aber nicht so. Es sind etliche deutsche Kollegen dabei, die nach Deutschland zurückgehen, weil sie dort besser bezahlt werden. Würden wir das Medizinstudium wieder inflationär aufmachen, hätten wir wahrscheinlich mehr Ärzte, weil nicht alle fortgehen können. Die Drop-out Quote wäre aber viel höher, was auch unnötige Kosten verursacht. Aber mit der Nichtauswahl davor hätten wir sicher schlechtere Ausgangspositionen als jetzt. Ob allerdings der Test geeignet ist, herauszufinden, wer eines Tages ein guter Arzt sein könnte, ist auch die Frage. Es gäbe vielleicht hochinteressierte, ehrgeizige junge Leute, die gerne hart arbeiten würden und nicht nur von der „Work-Life-Balance“ reden, die aber nicht zum Zug kommen. Da verlieren wir sicher einige Hoffnungsträger der Zukunft. Wie man die besser herausfiltern kann, ist die Frage. Es wird immer wieder geschaut, ob mehr Burschen oder mehr Mädchen durchkommen, aber das interessante ist, das hängt einzig und alleine von den Fragen ab. Das heißt, man kann sicher daran arbeiten, die Filter besser zu setzen.

Sollten jene, die nach der Ausbildung gleich ins Ausland gehen, Geld zurückzahlen?

Ja sicher, aber dafür gibt es gesetzlich keine Handhabe. Wir würden die Leute sehr gerne fünf bis zehn Jahre an uns binden. Wenn man das Studium bezahlen würde, könnte man an so etwas denken. Das könnte man vertraglich regeln. Jetzt gibt es aber Studiengebühren. Zwar sehr moderate, aber es gibt sie, daher kann man niemanden binden.

Man müsste einmal durchrechnen, ob die Einnahmen der Studiengebühren die Kosten der ausgebildeten und abgewanderten Ärzte kompensieren, oder ob man das nicht besser lösen könnte.

Genau, und ob und wie man das durchsetzen könnte. Unser Landesrat denkt hier schon laut nach.

Zu Beginn unseres Gesprächs haben Sie von einem Kunstherz gesprochen, welches man implantieren kann. Kann man auch ein Herz mit Stammzellen bauen?
Daran ist schon lange gearbeitet worden, aber bis heute ist das nicht gelungen. Ich glaube, es bedarf noch viel Forschung und Entwicklung, um so etwas zu schaffen. Man kennt die Versuche, wo man am Rücken der Maus ein Ohr entwickelt hat, aber ein Herz, das pumpt, ist doch wieder ganz etwas anderes. Dasselbe gilt für die Leber, auch das ist nicht gelungen bis heute. Wir arbeiten alle heftig daran. Der Hoffnungsträger einer präzisen und individualisierten Medizin sind die sogenannten Car-T-Cells. Das sind Zellen, die werden derzeit Lymphom Patienten entnommen, dann werden die mit einem als Vektor Mäuse Retro Virus transportiert und es werden entsprechende Antikörper für diese Lymphome aufgesetzt. Diese bewaffneten, hochmunitionierten Zellen bekommt der Patient dann zurück. Das hat zwar sehr starke Nebenwirkungen, hat aber schon viele Lymphome austherapiert, wo man eigentlich davon ausgegangen war, dass nichts mehr hilft und der Patient sterben wird.

Das ist bestimmt teuer.

Ja, die Erzeugung in der Pharmaindustrie für diverse Krebsformen ist sehr teuer. Die Behandlung eines Patienten kann um die 600.000 Euro kosten, also ist das eigentlich unfinanzierbar. Ich habe das medizinische Innovationsboard hier gegründet, wo sich mittlerweile alle Bundesländer angeschlossen haben, wo solche Themen besprochen werden: Was kann man wann zulassen, was nutzt dem Patienten. Die Wertschöpfung der Therapie für den Patienten muss in einem gewissen Maß zum Aufwand liegen. Sogar die USA haben begrenzte Mittel. Und auch wir haben eben nur einen Pool zu Verfügung aus dem alle unsere Behandlungsmethoden, von der Kariologie, über die Augenheilkunde etc bezahlt werden, daher muss man hier sehr verantwortungsvoll agieren.

Beraten Sie sich mit Ethikern?

Natürlich wir haben Ethiker in unserer Kommission, auch arbeiten wir mit europäischen Vereinigungen mit sogenannten Entscheidungspyramiden mit einem Punktesystem nach welchem wir vorgehen. Wir entscheiden also nicht aus dem Bauch heraus, sondern ziehen harte Fakten heran, um Entscheidungen zu treffen.
Welche ethischen Fragen stellen sich in besonderem Masse?

Da denke ich an die Onkologie und die spinale Muskelatrophie. Ein Fall war in allen Zeitungen, wo einem 12 Jährigen Buben eine gewisse Behandlung nicht genehmigt wurde. Man muss aber leider sagen, er ist zu Recht nicht drangekommen, weil die diskutierte Behandlung ab diesem Alter überhaupt keine Wirkung zeigt. Das sind die ethischen Fragen. Alles hat Nebenwirkungen. Auch bei genetischen Veränderungen muss man sich klare Fragen stellen. In Europa hat man diesbezüglich ein ganz anderes Bewusstsein, als in China, dort wird einfach gemacht.

Glauben Sie war das ein Einzelfall in China mit den genveränderten Zwillingen, oder war das nur einer, der bekannt wurde?

Zweiteres. Ich bin mir sicher, dass sich in China aufgrund der Kultur die dort entstanden ist, viele ethische Fragen nicht stellen, oder zumindest anders als bei uns oder in den USA.

Sind die Chinesen in der Genforschung schon weiter als wir und der Rest der Welt?

Die Chinesen haben uns in der Richtung sicher schon überholt. Aber sagen wir so: ich jedenfalls fühle mich mit unseren Wertvorstellungen in Europa wohl.