Ist es auch Unsinn, hat es doch Methode

Wirtschaftspolitik à la francaise als gefährliche Drohung für Europa. - Wie gebannt blickt ganz Europa in die Türkei, als ob dort das eigene Schicksal am Spiel stünde. Jeder Muckser des anatolischen Paschas wird für eine weltbewegende Tat gehalten, vor der man sich fürchten müsse oder über die eventuell erleichtert sein dürfe. Dabei entgeht der Aufmerksamkeit fast völlig, dass in Wirklichkeit über das Schicksal Europas nicht am Bosporus, sondern bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich am kommenden Sonntag und dann aller Voraussicht nach in einem zweiten Wahlgang am 7. Mai entschieden wird.

Der politische und wirtschaftliche Weg Europas

Es geht darum, welchen politischen und wirtschaftlichen Weg Europa gehen wird: Den der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs oder den der staatlichen Planung und nationalen sowie internationalen Umverteilung? Sollte Frankreich nach der Wahl diese Richtung einschlagen, hätten die an Freihandel und Konkurrenzfähigkeit orientierten Staaten, allen voran Deutschland, die Niederlande aber auch Österreich nicht genug Kraft, dagegenzuhalten, zumal ihnen auch Großbritannien als bisher verlässlicher Verbündeter fehlt.

Das Wirtschaftsprogramm der vier Kandidaten

Ein Blick auf das Wirtschaftsprogramm der vier Kandidaten, die Chancen haben, in den zweiten Wahlgang zu kommen und dann vielleicht Präsident zu werden, zeigt, dass nur einer, nämlich Francois Fillon von den bürgerlichen Gaullisten, marktwirtschaftlich-liberale Vorstellungen hat, obwohl auch bei ihm die bekannte Schwäche Frankreichs für die Planwirtschaft durchscheint. Fillon, der die Vorwahl in seiner Partei fulminant gewonnen hat,  ging mit den besten Chancen in Wahlkampf, nun aber scheint der  sozialistische Umverteilungstheoretiker Emmanuel Macron die besten Aussicht zu haben.

Fillon vertritt ein resolutes  wirtschaftliches Reformprogramm. Er kündigt an,  500.000 Stellen im öffentlichen Dienst einzusparen und die Arbeitszeit für die Beamten  auf 39 Wochenstunden anzuheben.  Die  konsequent marktwirtschaftliche Orientierung vereint er mit einem  wertkonservativen Gesellschaftsprojekt.  Macron dagegen ist ein klassischer Vertreter des seit 300  Jahren in Frankreich herrschenden Etatismus. Sein Programm ist geprägt vom französischem Zentralismus, der in den Elite-Hochschulen, die besucht hat, gelehrt wird und in den Ämtern, in denen er gesessen ist, praktiziert wird. Statt der selbstverwalteten Sozialversicherungen möchte er eine einheitliche staatlich organisierte einführen. Auch er 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen, zugleich aber neue Lehrer einstellen.

Eine Transfer-Union

Der harte Kern von Macrons Vorstellungen ist aber eine europäische Wirtschaftsregierung mit einem eigenen Haushalt. Diese Regierung der Euro-Zone müsse von einem Euro-Finanzminister, der  Investitionsmittel vergibt oder in der Arbeitsmarktpolitik mitredet, geführt werden.

Macron gibt offen zu, dass das auf eine Transfer-Union hinausläuft, bei der die „Starken“ zahlen sollen.

Mit den „Starken“ sind vor allem die Deutschen gemeint. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands „ist in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar“, sagte Macron gegenüber deutschen Zeitungen. Damit wiederholt er das, was die Chefin des Internationalen Währungsfonds und ehemalige französische  Finanzministerin  Christine Lagarde seit Jahren predigt und wofür sie sogar in Deutschland und Österreich Anhänger findet: Die Starken schädigen, um damit den Schwachen Reformen zu ersparen. Deutschland fördere die wirtschaftlichen Ungleichheiten in der EU, klagt Lagarde.  Die Bundesrepublik müsse ihre heimische Nachfrage ankurbeln, um die Exportwirtschaft defizitärer Länder der Union zu unterstützen. „Können diejenigen mit Handelsüberschüssen nicht ein klein wenig was tun?“, fragte Lagarde.

Der Feind Nummer eins

Lagarde wird  von den wirtschaftlich schwachen EU-Staaten unterstützt, die auf Einschränkungen der deutschen Wettbewerbsvorteile drängen. Vor allem in Italien ist Deutschland zum Feind Nummer eins aufgerückt, das mit seinem exportorientierten Wirtschaftsmodell sein Wachstum „auf Kosten anderer Euro-Staaten“ antreibe. Das ist sogar Lagarde zu dumm:  Deutschland habe eben seine Hausaufgaben gut erledigt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, sagte sie, setzt aber hinzu: „Wir brauchen offensichtlich eine bessere Angleichung.“

Dazu empfiehlt die IWF-Direktorin  eine Angleichung der Löhne in der Euro-Gruppe. Dabei ignoriert sie, dass in Deutschland die Löhne von den Tarifvertragspartnern ausgehandelt und nicht zentralstaatlich verordnet werden können. Die deutsche Industrie ist trotz der relativen Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre bei den Lohnkosten weiterhin an der Weltspitze. „Soll die Exportwirtschaft jetzt irgendwie dazu angehalten werden,  mehr unattraktive Güter herzustellen?“, fragt der deutsche Regierungssprecher sarkastisch. Deutschland habe einen sehr starken und innovativen Mittelstand. Daher stelle sich eher die Frage, warum das andere Länder nicht auch erreichen können.

Import und Konsum

Den Deutschen wird vorgeworfen, zu wenig zu importieren und zu konsumieren. Das ist aber kein Ergebnis einer wirtschaftspolitischen Strategie, sondern der Entscheidungen von Unternehmen, Arbeitnehmern und Konsumenten. Sollen die deutschen Autofahrer womöglich einen Fiat statt eines VW Golf kaufen oder einen Peugeot statt eines BMW? Gerade hat VW übrigens für das erste Quartal 2017 einen hohen Gewinn ausgewiesen, der hauptsächlich dem neuen Tiguan zu verdanken ist. Wer hindert die italienische oder französische Konkurrenz  daran, auch ein solches Erfolgsmodell zu  bauen, um das sich die Käufer in Deutschland dann reißen würden?

Schrumpfende französische Industrie

Die schrumpfende französische Industrie ist jedenfalls kein Vorbild für das  Überleben in einer globalisierten Wirtschaftswelt. Über den Erfolg im Welthandel bestimmen unzählige Entscheidungen von Verbrauchern, Unternehmen und Arbeitnehmern.  Ohne die Leistungsbilanzdefizite von Ländern, die auf Pump konsumieren, könnte es die Überschüsse von Exportnationen nicht geben.

 

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