Alter-weißer-Mann-Bashing scheint angesichts der Flüchtlingskrise wieder eine Renaissance zu erleben. Mutti regiert Deutschland, junge, potente Flüchtlinge stürmen das Land, die Frauen sind auf dem Vormarsch – für den Mann scheint da wieder wenig Platz - er ist der Looser der Nation und Objekt küchenpsychologischer Abgesänge. Eine Wiedergutmachung.
Verknüpft mit der Flüchtlingsfrage kommen derzeit unterschiedliche Herren zu unterschiedlicher Deutung, warum die alten weißen Männer mit der Flüchtlingsfrage angeblich nicht zurecht kämen. Und zwar hauptsächlich diese. Deswegen kritisieren sie in Parteien und Feuilleton die Kanzlerin nicht etwa, weil es sachliche Gründe dafür zu Hauf gäbe, sondern nein, weil sie eben alte weiße Männer sind. Gut, man ignoriert konsequent, dass Kritik an der Flüchtlingspolitik bei weitem nicht nur von alten weißen Männern geäußert wird, sondern auch von jungen Männern, von Christen, von Juden, von Muslimen, von jungen Frauen und von alten Frauen, um nur einige aufzuzählen. Passt aber nicht ins Schema, wird also in der Regel weggelassen. Ist doch viel einfacher, wenn man sich erst einmal auf eine Zielgruppe eingeschossen hat und stört ja auch die Argumentationslinie.
DIE FLÜCHTLINGSKRISE UND DER ÖDIPUS-KOMPLEX
Höhepunkt dieser einseitigen Situationsanalyse bildet sicher ohne Zweifel gerade der Autor Sascha Lehnartz in der Welt unter dem Titel: „Die Angst der alten Männer vor jungen Flüchtlingen“. Kurz zusammengefasst besteht seine Theorie darin, dass Merkel-Kritik hauptsächlich von Männer verübt werde, worin sich eine Art Ödipus-Komplex manifestiere. Der verbliebene traurige Resthaufen über die Jahre enteierter Männern in der Union kompensiert durch diese Kritik also nur sein wachsendes Ohnmachtsgefühl. Dass man die kinderlose Mutti der Nation als solche bezeichnet, ist demnach einerseits Eingeständnis der eigenen Unterwerfung und gleichzeitig Unwille, Muttis Autorität anzuerkennen.
Die Entscheidung Merkels, die Grenzen nicht zu schließen, habe im politisch-publizistischen Komplex eine spektakuläre Entladung von Merkel-phober und frauenfeindlicher Energie ausgelöst und steigert sich bei Lehnartz zu der rhetorischen Frage, ob die weißen und mehrheitlich heterosexuellen politischen Kommentatoren aus der Altersriege 50+ mit einem männlichen Kanzler ebenfalls so verfahren wären. Diese Frage ist wie gesagt nur rhetorisch gestellt, denn sie wird sofort beantwortet: Selbstverständlich nicht. Nach der Lesart von Lehnartz wird hier nur das alte Vorurteil gepflegt, Frauen könnten nicht vernünftig handeln, und würden stattdessen emotional und mit Herz agieren bis hin zum Hinweis, dass solche Männer im 19. Jahrhundert für solche Frauen Lösungen parat gehabt hätten. Die Kritik am Flüchtlingskurs der Kanzlerin reduziert sich am Ende also auf die urtiefe Angst, sie habe diese jungen Flüchtlingsmänner mehr lieb als ihre angry-white-Landsmänner.
UND DAMIT SIND WIR NAHTLOS BEIM PENISNEID ANGEKOMMEN
Und damit sind wir nahtlos beim Penisneid angekommen, der sich wiederum bei Jakob Augstein als eine Ursache der Kritik, die doch in Wahheit nur blanker Rassismus sein soll, offenbart. Immerhin stellte Augstein schon mal vorweg fest, dass die Angst vor dem „dauergeilen Muslim“, den jungen, aggressiven Männern mit den dunklen Augen als Schreckgespenst des Abendlandes, Kritik von linken Feministinnen und rechten Pöblern zusammenführe. Die Kritikermasse hat sich also erweitert, „Kulturchauvinismus“ und Rassismus überwinden bei ihm politische Grenzen. „Der Fremde und seine bedrohliche Sexualität“, das sei in Wahrheit das älteste Vorurteil des Rassismus. „Schwarze haben den Längsten und Juden können am längsten.“ Gerade der Orient sei immer der Ort für eigene sexuelle Projektionen gewesen.
Schleier und Tänze, Harem und Badehaus – und natürlich die Vielehe – versprachen eine andere Sexualität, freier, mit weniger Schuld. Der triebhafte Araber, der schamlos-lüsterne Jude, das sind die Erfindungen des Westens.“
Wenn ich das also richtige verstehe, ist der Hinweis auf eine Zuwanderung von über 70 Prozent junger, muslimischer Männer und die damit verbundenen Ängste und Folgen eine Manifestation der Ängste der deutschen Männer, hier kämen lüsterne muslimische Männer mit geballter sexueller Potenz, die ihnen die Frauen wegnehmen, weil sie nämlich den Längeren haben und gleichzeitig ein gewisser Neid auf die sexuell Freiheit, die diese Männer in ihrer Kultur genießen. Kulturchauvinismus eben. Nun haben ja bekanntlich trotz Gender Mainstreaming Frauen immer noch keinen Penis. Wie die Kritik von Politikerinnen wie Julia Klöckner, Feministinnen wie Alice Schwarzer und auch meine persönliche zum Import eines altertümlichen Frauenbildes, das Frauen als Freiwild betrachtet, in den Penisneid der alten weißen Männer passt, löst auch Augstein nicht auf, aber immerhin, es war ihm schon mal aufgefallen, dass die Flüchtlingsdebatte keine exklusiv männliche ist.
DER DEUTSCHE MANN HAT SICH ZUM WEICHEI DEGRADIEREN LASSEN
Die Deutungsversuche über die Kritiker der aktuellen Flüchtlingspolitik und deren Ursache sind möglicherweise viel einfacher, als diese Abhandlungen erahnen lassen, sie müssten aber mit einem Eingeständnis beginnen: Der deutsche Mann hat sich zum Weichei degradieren lassen. Das Männerbild in Deutschland ist am Boden, das männliche Selbstwertgefühl sowieso und das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht wird nicht erst durch eine Mutti an der Spitze der Regierung realisiert, sondern schon lange.
Aus berechtigter Kanzelrinnen-Kritik nur einen Aufstand frustrierter, alternder Männer zu konstruieren und Frauenfeindlichkeit zu unterstellen, eröffnet die Geschlechterdebatte, wo sie gar nicht existiert. Selbstverständlich würde ein männlicher Kanzler sich mit der gleichen Kritik konfrontiert sehen. In Österreich genießt Kanzler Faymann beispielsweise ausführliche Kritik aus dem Oppositionslager. Gleichzeitig verdeckt es den Teil der Geschlechterdebatte, den wir längst einmal führen sollten: Wie darf denn positive Männlichkeit in unserem Land noch aussehen und wie darf Kritik an mächtigen Frauen noch aussehen, um nicht pauschal als frauenfeindlich zu gelten?
WIE DARF KRITIK AN FRAUEN NOCH AUSSEHEN, OHNE PAUSCHAL ALS FRAUENFEINDLICH ZU GELTEN?
Kritik an Quoten-Feminismus gilt als frauenfeindlich. Kritik an Gender-Feminismus gilt als antifeministisch. Der Hinweis auf die Probleme der Zuwanderung muslimischer Männer gilt als rechtsradikal. Kritik an Frauen und Feminismus insgesamt ist also pfui. Die Debatte über die Frage, wie der gute Mann auszusehen hat ist in Frauenhand. Den Sexismus, den man vorgibt zu bekämpfen, indem Kritik an weiblichem Führungsstil mit dem Sexismusverdacht gebrandmarkt wird, reproduzieren die gleichen Leute massenhaft indem sie männliche Kritiker pauschal in die Chauvi-Ecke stellen. Womit zumindest erwiesen wäre, dass Sexismus in viele Richtungen gedacht werden kann, wenn er auch nur in einer Richtung angeprangert wird.
Ausgewogene Geschlechtergerechtigkeit ist nicht das Ausbleiben der Kritik an Frauen. Wahre Geschlechtergerechtigkeit ist ganz im Gegenteil erst dann erreicht, wenn eine Frau von Männern als unfähig, machtgeil oder mit sonstigen Attributen belegt werden kann, ohne dass man ihn automatisch als Frauenfeind bezeichnet. Und so haben die Damen Feministinnen durchaus Recht, wenn man dem Spruch glauben darf, dass Gleichberechtigung erst dann erreicht sei, wenn in Führungspositionen genauso viele unfähige Frauen säßen, wie Männer. Der zweite Teil gehört aber auch dazu: Dass man diese Frauen dann genauso frontal, hartnäckig und auch unfair kritisieren darf und muss, wie wir es bei Männern selbstverständlich tun.
Die Frage, die wir uns stellen müssen ist, welches positive Männerbild haben wir den jungen muslimischen Zuwanderern anzubieten, damit sie sich von ihrem eigenen, mittelalterlichen verabschieden?
In was genau sollen sie sich denn integrieren, wie soll sich ihre Männlichkeit hier entfalten können? Aus Sicht eines Zuwanderers aus einem extrem patriarchalen Gesellschaftssystem, wo man mit Frauen nicht sprechen muss, ihnen nicht die Hand gibt, mit ihnen nicht einmal an einem Tisch sitzt und sich schon gar nichts von ihnen sagen lässt, mutet ein Land, in dem Frauen regieren und Männer den Haushalt führen, wie ein Pussyland an. Ja sicher, sie mögen unsere Kanzler-Mutti, aber doch nicht weil sie eine Frau ist, sondern obwohl sie eine Frau ist. Sie mögen sie nicht deswegen, weil sie es so großartigen finden, in der neuen Wahlheimat endlich von einer Frau regiert zu werden, sondern weil sie von ihr bekommen, was sie wollen. Fragt sich, wie es mit dem Liebesbeweis für Selfie-Merkel aussehen würde, wäre sie ein inhaltliches Kaliber à la Marine le Pen? Eben.
Um also im Kanzlerinnen-Sprech zu bleiben, es ist wenig hilfreich, wenn wir nun Männer im Land haben, die Kritik an der Flüchtlingspolitik als männliches Potenzgebaren abtun, denn sie helfen damit weder der Integration von Flüchtlingen, noch dem Erhalt der Errungenschaften der Emanzipation. Die Kritik von Frauen an der Flüchtlingspolitik wiederum als irgendwie rechts abzutun, nur weil die Kategorie männlicher Chauvi nicht passt, offenbart die zweite Flanke dieser gesamten Argumentation.
…MAN MUSS SICH SCHON ARG VERBIEGEN, DAS UNTER EINEN HUT ZU BEKOMMEN
Denn der klassische, gutmeinende Linke steht im Dilemma, verschiedene Opfergruppen, die er zu verteidigen sucht, auf der linken Seite vereinen zu wollen, die dort aber gemeinsam nicht hinpassen und sich gegenseitig nicht immer wohlgesonnen sind. Wenn der Herr Flüchtling wegen seines Frauenbildes nicht kritisiert werden darf, obwohl man doch für Frauenrechte ist, muss man sich schon arg verbiegen, das unter einen Hut zu bekommen. Migranten, Flüchtlinge, Muslime, Frauen, Schwule, Transsexuelle, usw. sind als Opfergruppe nicht homogen, sondern teilweise Feinde im gleichen Bett.
Was wir also brauchen, ist ein positives Männerbild, das als Vorbild zur Integration gelten kann. Eines in dem Männer stark sein dürfen, ohne dass dies Frauenunterdrückung bedeutet. Eines das Männer selbst definieren dürfen, denn wir Frauen definieren unseres ja auch selbst. Eines indem Frauen auch von Männern kritisiert werden dürfen, weil sie auch daneben liegen können. Eines indem man Mann sein darf, ohne gleichzeitig brav an seiner eigenen Dekonstruktion mitarbeiten zu müssen. Dann, vielleicht, hätten wir ein Gesellschaftsbild, in das man alle integrieren kann, auch den deutschen Mann.